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Reviews

Marianne Faithfull | Matt Dusk 15.6.2011

Jazz im Zeichen des Blut-Mondes!

Das fängt ja gut an, das 21. Jazz Fest Wien. Mit einer Charity Gala für die United Nations Women’s Guild, Marianne Faithfull als Stargast, Matt Dusk als Opener und einem Blut-Mond am Himmel!

Pünktlich zum Beginn des 21. Jazz Fest Wien titelte gestern die Tageszeitung “Österreich”: „’Blut-Mond’ macht heute alle Jazz verrückt“. Nun denn, warum nicht? Gegen die Macht des Mondes ist schlecht argumentieren. Und die Vorstellung, dass nun vielleicht das ganzmonatige Jazz Fest Wien unter dem Zeichen des jazz-verrückten Blut-Mondes steht, ist ja auch nicht gerade zum Fürchten.

Marianne Faithfull

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Also hin zum Jazz Fest ins Austria Center Wien zum Eröffnungskonzert. Der Saal ist noch nicht ganz gefüllt, aber Matt Dusk, der leibhaftig gewordene Schwiegereltern-Traum steht schon auf der Bühne und singt, als wäre er das dreiheilige Ratpack in einer Person. Dean Martin, Sammy Davis Jr. und Frank Sinatra sind anteilig in dem schmalen Mann wiedergeboren. Er hat den richtigen Tonfall, die richtigen Gesten drauf. Nur das Spiel der Band ist schlecht abgemischt, die Akustik mies, der Drummer lauter als der Sänger. Kurzfristig entflammt im Team die Streitfrage, ob Matt Dusk oder Jamie Cullum süßer aussehe. Es kündigt sich eine weitere Niederlage meinerseits an. Der Rest kann nur noch besser werden.

Dann folgt der Starauftritt. Marianne Faithfull. Im Vergleich zum vorigen Auftritt beim Jazz Fest Wien in der Oper hat sich die Band auf die rockige Minimalbesetzung von Rhythmusgruppe, Gitarrist und Allrounderin an Keyboards und Blasinstrumenten gesundgeschrumpft. Und das ist gut so. Den ersten Nummern vom aktuellen Album Horses And Heels folgt ein nahezu zwei Stunden langes Konzert, bei dem die Diva mit der kaum noch modulationsfähigen Stimme zur Freude des Publikums Hit für Hit aus ihrem Repertoire singt.

„As Tears Go By“ darf nicht fehlen, „Sister Morphine“ nicht, „Broken English“ ebenso wenig wie die Kollaborationen mit Roger Waters oder Tom Waits. Bei „Working Class Hero“ reckt sie die Faust gen Bühnenhimmel. Die Band rockt, so dass es eine Freude ist. Die Faithfull raucht, so dass sie kurz durchhustet. Sie sei, so sagt sie, „incredible tired“, aber diese unglaubliche Müdigkeit würde verfliegen angesichts der enthusiastischen , sehr freundlichen Reaktionen des Publikums. Sie feiern sie bis in die Zugabe hinein, während der sie dichtgedrängt an der Bühne stehen und Lucy Jordan bei der Fahrt durch Paris ihr Haar wehen lässt. Schön ist das, und sicherlich eine Folge ihres Talents und wahrscheinlich auch eine des ‚Blut-Mondes’, der uns alle Jazz-verrückt macht.

Und dann geht es von der Bühne ab in den Backstage-Bereich. Das Empfangskomitee ist nicht, wo es sein sollte. Der Weinflaschenöffner ist nicht da, wo er sein sollte. Die Weinflasche ist nicht dort, wo sich der Eiskübel befindet. Marianne Faithfull sitzt allein in ihrem Dressing-Room, ruft „Hallo“ und niemand antwortet. Der Rest der Mannschaft steht auf der Terrasse und bewundert den roten Mond. Wer immer jetzt noch den „Bluhu Muhun“ besingen will, kann einpacken.

Mitten in den Moment der tiefsten Melancholie und des weihevollen Nachdenkens über die Macht des Mondes und die Einsamkeit des Stars in der Abgeschiedenheit seiner Garderobe, tippt mir mein toter Jazz-Kumpel Joachim-Ernst Berend auf die Schulter. „Sorry Bursche, ich glaube, du hast dich verlesen. Ich habe zwar einmal geschrieben: ‚Jazz ist, was gleich zu Anfang des Jahrhunderts das Wort Jazz bedeutete, noch bevor’s auf die Musik bezogen wurde – was auch rock ’n’ roll, und swing bedeuten: a sexual thing.’ Kann es sein, dass du deshalb die Schlagzeile in der Zeitung falsch verstanden hast?“ Ich schaue noch einmal auf die Schlagzeile von “Österreich”. „’Blut-Mond’ macht uns heute alle Sex-verrückt“ ist da jetzt plötzlich zu lesen. Potzblitz. Entweder sind ganz dreiste Schlagzeilenfälscher am Werk. Oder: Jazz und Sex velwechselt man so leicht, Aber was hat der rote Mond damit zu tun? Der Jazz-Kumpel reicht mir ein Glas mit einer hochroten Flüssigkeit und hübscher zweistelliger Umdrehungszahl.
„Trink und labe dich am Speichel Gottes. Demnächst ist auch noch ein Tag!“
„Mit Jazz?“
„Aber sicher! Musst nur diese Seite anklicken und an Sex denken. Schon wird Jazz daraus!“
„Tolle Idee. Schenk nach! Mehr von dem roten Zeug!“
(Harald Justin)