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Earl Klugh | Al Di Meola 1.7.2011

Zwei Ausnahmegitarristen in der Staatsoper

Bei einem grandiosen Doppelkonzert der beiden Ausnahmegitarristen Earl Klugh und Al DiMeola in der Wiener Staatsoper feierte das Publikum zwei ganz gegensätzliche Vertreter der Gitarrenkunst.

Dabei fing alles ganz anders an.
Bob Dylan hatte einmal einen bösen Traum, den 115., um genau zu sein. Und der Ben-Tzi Droan lacht noch immer sein irres „Son-of-a-Bitch“-Lachen, seit er sich bei mir unter dem Sofa eingenistet hat. Genau davon träumte ich, I have a dream, too, als es an der Tür klingelte, eine rote Laus mir über die Leber lief, öffnete und zwei Gitarren vor der Tür standen. „Auf mir kann man schneller spielen als mit einer Nähmaschine nähen“, stellte sich die eine, ganz in Weiß gehaltene Sechssaitige vor. „Und auf mir kannst du so weiche Töne spielen, dass ein Soft-Ice neidisch werden würde!“, sagte die andere, die im schönsten Schwarzbraun glänzte. „Was wird denn das?“, fragte ich, „Schwarzweißes Ying-Yang mit Eisbeilage? Oder die sonderbare, von den Surrealisten so gern beschworene Begegnung der Nähmaschine mit einem Regenschirm auf einem Operationstisch?“ Die Antwort fiel gewalttätig aus, ich wurde unter Drogen gesetzt, gefesselt und entführt, glücklicherweise nicht geteert und gefedert.

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Erst in der Loge der Wiener Staatsoper wache ich wieder auf, fein zurechtgemacht, mit bestem Blick auf die Bühne, aufbereitet für ein Konzert der Sonderklasse. Dann wird es auch schon ernst: Ein Mann mit schönsten hellbraunen Teint wird als Earl Klugh vorgestellt. Eine Gitarre hat er im Arm, das Hemd fällt leger über die feine Anzughose, an der Griffhand funkelt eine teure Uhr. Was er dann zupfend aus seinem Instrument herausholt, ist so lieblich und weich und kommt mir so bekannt vor. Hm, ja, das ist „Shadow Of Your Smile“, und ja, das ist „Bluesette“ von Jean Toots Thielemans, so soft und introspektiv dargebracht wie nur möglich dank einer stupenden Technik und viel, viel Gefühl für Harmonie und Melodik. An diesem Abend ist Klugh tatsächlich klug und zeigt, dass er von Laurindo Almeida und der lateinamerikanischen Art des Gitarrespielens viel gelernt hat. Er schmeichelt und streichelt die Töne nur so aus dem Korpus. Ok, das klingt wie Soft-Ice für die Ohren. Aber es ist verdammt gutes Soft-Ice.

Earl Klugh ist zudem höflich. Aufrecht steht er an der Gitarre, auf den roten Hocker setzt sich höchstens kurz als Verlegenheitsgeste während des Nummer für Nummer sich steigernden Applauses. Manchmal, wenn es ihm zuviel wird, klatscht er sogar höflich zurück, beim Publikum für die ihm dargebrachte Ehre sich bedankend. Über die Reaktion des Publikums scheint sich niemand mehr zu wundern als Earl Klugh, der Verursacher. „Das Publikum hier in Wien ist ja wunderbar“, freut er sich später im Backstage-Bereich, wohin ich ihm folge. „Mit dieser Reaktion hätte ich nie gerechnet.“ Können diese vor Freude strahlenden Augen lügen? Nein, sie erzählen wohl die Wahrheit. „Dabei habe ich immer solch ein Lampenfieber, besonders wenn ich solo auftrete. Meine Nerven flatterten nur so!“ Er wedelt mit den Armen wie ein Vogerl vor dem Absturz.

Glücklicherweise kommt Al Di Meola aus der anderen Garderobentür und fängt ihn auf. Die beiden Musiker herzen einander und scherzen miteinander. Jeder von ihnen erhält von der charmanten Jazz Fest Wien-Vertreterin ein Stückchen aus dem Parkett der Bühnen geschenkt, getränkt vom Blut und Schweiß der auf dieser Bühne aufgetretenen Musiker. Jetzt freut sich Al Di Meola. „Noch ein paar mehr davon, und ich kann mir meine eigene Bühne bauen!“ Mit Earl Klugh macht er noch einen Scherz über Banjo spielende Afroamerikaner, den er sich wohl nur leisten kann, weil sich die beiden schon lange kennen.

Dann muss er schon selbst auf die Bühne, die sich trotz vieler verschenkter Parkettstückchen immer noch in alter und voller Pracht und Herrlichkeit zeigt. Ein zweiter Gitarrist, ein Akkordeonist und ein Drummer, der hinter einer Plexiglaswand abgeschirmt ist, begleiten ihn. Wer beim Anblick des Drum-Sets einen besonders laut spielenden Brachial-Drummer befürchtet hat, wird beglückt. Der Drummer kommt nur selten zum Einsatz und trommelt, wenn nötig, tatsächlich nur das Nötigste.

Insbesondere der Einsatz des Akkordeonisten beweist einmal mehr, welcher Musik Al Di Meola mit Hingabe seit Jahren dient. Der neue Tango, von Astor Piazoll aufwärts, lässt grüßen, und der Herr der sechs Saiten zeigt mit viel Vibrato und rhythmisch fein akzentuierten Attacken, dass er nicht nur schneller als eine Nähmaschine spielen kann, sondern auch mit viel mehr Gefühl als je zuvor. Ab und zu drückt er mit den Füßen die Pedale einiger Effektgeräte, und schon verzerrt oder verhallt sich das Spiel auf seiner akustischen Gitarre und fügt den Klängen des surreal, mit Pfeif- und Klappengeräuschen agierenden Akkordeonisten weitere Klangfarben hinzu. Al Di Meola ist in bester Spiellaune, vielleicht auch, weil er vor dem Konzert seine schicke Anzugjacke aus gezogen hat und in ein deutlich schlichteres Hemd geschlüpft ist, das seinem schweißtreibenden Spiel wenig Widerstand entgegen setzt.

Einmal beschert er dem Publikum beinahe einen Herzausraster, als er ein Stück von Lady Gaga ankündigt. Ooops. Stille im Saal. „Aber neu arrangiert!“ Ein Plink und ein Plonk, das war es dann schon. „Ich habe es doch gesagt: neu arrangiert!“ Jetzt hat er die Lacher auf seiner Seite, und das ist mehr als es Jimi Hendrix erlebt hat, dessen Publikum schon begeistert auf das Stimmen seiner Gitarre reagierte, weil es meinte, das neue, etwas irre Solo gehörig feiern zu müssen.

Natürlich muss Al Di Meola noch eine Zugabe spielen, das Publikum hält es nicht auf den Sitzen. Er ist heute Abend Sieger über das Nähmaschineprinzip in der Gitarristik, dem zufolge Schnelligkeit vor Gefühl geht. Di Meola ist Herr der Saiten und Sieger der Herzen. Als er das Publikum dann noch mit seiner Kamera fotografiert, wird der Jubel frenetisch. Der in sich gekehrte Earl Klugh, der neben mir in der Loge steht und gewissermaßen der Antipode des expressiv-feurigen Spiels Al Di Meolas ist, klatscht freudig mit. „He is so marvelous!“ Dann will er noch Essen gehen, in ein nahegelegenes Restaurant. “A Schnitzel!”

Ich lehne dankend ab. Ein Schnitzel am Abend, nein danke, das ist nichts für mich. Da greife ich doch lieber zu der mir angebotenen Praline. Doch kaum im Mund, entwickeln die Knospen meines Sensoriums ein wildes Eigenleben. Farben explodieren, Klänge implodieren, alles dreht sich, und ich beginne zu ahnen, dass meine Eltern recht hatten, als sie sagten „Nimm nichts von Fremden!“ Kann eine Praline eine Droge sein? Oder habe ich nur einen Traum? „You Have A Dream“, den Ruf höre ich. „A Change Is Gonna Come!“ Dem Ruf stimme ich zu. Und ich wäre momentan verdammt froh, wenn ich morgen nicht in der Zeitung den folgenden Satz lesen müsste: „Als Harald Samsa J. eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einer ungeheueren Robbe verwandelt.“ Nein. „Ich will keine Robbe sein“, sage ich laut und deutlich. Das ist mir zuviel change. Schreiend erwache ich. Der gute alte Ben-Tzi Droan, mein geheimer tibetanischer Lieblingsweiser, hält mir die Hand. „So so, du also wollen kein Seal sein?“, radebrecht er deutsch-amerikanisch. „Dann du musst am Samstag wieder in die Wiener Staatsoper kommen und schauen, ob ein anderer der Seal ist! Wenn nicht, du musst machen den Seal!“
Na, das ist einmal eine Herausforderung für den Samstagabend!
(Harald Justin)