Kleine Instrumentenkunde
Ein Loch, sechs Saiten, etwas Holz drumherum
Schon einmal überlegt, welches Instrument im 20. Jahrhundert die Musik so nachhaltig veränderte, dass von einer Revolution gesprochen werden müsste? Eines kann verraten werden: Sousafon und Cembalo waren es nicht!
Wer sich fragt, welches Instrument heute oft die erste Wahl bei Kindern ist und im 20. Jahrhundert grundlegend die Welt der Musik verändert hat, wird bei der Antwort feststellen, dass dieses Instrument auch beim Jazz Fest Wien eine gewichtige Rolle spielt. Denn kaum ein Musiker, kaum eine Band kommt ohne es aus. Dabei ist die musikalische Bandbreite, die mit diesem zumeist aus Holz hergestellten und mit Nylon- oder Stahlsaiten bestückten Instrument, ungemein groß.
Ja, man kann klassische Musik auf ihm spielen, obwohl es seine eigentliche Bestimmung erst in der Popularmusik des frühen 20. Jahrhunderts fand. Und zwar nicht in Europa, Afrika oder Arabien, wo man seine Vorläufer unter verschiedenen Formen und Namen schon lange kannte, sondern im Labor der Moderne, in Amerika.
Fotos: Wolfgang Gonaus (A. Di Meola), Rainer Rygalyk (T. Rypdal, W. Muthspiel, M. Stern), Rolf Ohlson (U. Wakenius), Dietmar Hoscher (W. Trout)
In den Händen ehemaliger afroamerikanischer Sklaven und entwurzelter Heimatloser aus der alten Welt wurde aus einem Loch mit Holz drumherum, auf dem sechs Saiten schwingen, ein Instrument, das heute längst weltweit in Gebrauch ist und Menschen aller Art zusammenführt. Keine Frage, die Gitarre hat im 20. Jahrhundert den Ton in der Musik angegeben und an Popularität alle anderen Instrumente, ob Klavier, Violine, Saxofon oder Trompete weit hinter sich gelassen.
Dabei begann der Siegeszug so unscheinbar. Als Billig-Instrument auf dem Rücken umherfahrender Wandermusiker und vornehmlich eingesetzt in der Musik, die einst noch gar keine Namen hatte und später Blues genannt wurde, betrat sie die eigentliche Bühne der modernen Musik. Im Blues wuchsen die ersten Guitarheroes heran. Lonnie Johnson war der erste „Guitar Wizzard“ von vielen, die noch kamen und spielte in den zwanziger Jahren mit Duke Ellington und in Europa.
Mit der Elektrifizierung der Gitarre in den dreißiger Jahren hatte sich die Sechssaitige endgültig auch im Jazz nicht nur als Rhythmus-, sondern auch als Solo-Instrument durchgesetzt. Charlie Christian und T-Bone Walker, von Europa aus Django Reinhardt, setzen die Gitarre ganz neu auf die musikalische Landkarte. Wer nach ihnen kam, stand auf ihren Schultern und dem von ihnen gelehrten flinken Single-Note-Läufen. Jimi Hendrix befreite dann noch die Elektronik von ihren Regeln, aber auch er war Bluesmann und Musiker genug, um zu wissen, dass ihn mit Lonnie Johnson mehr als nur die Hautfarbe verband.
Spätestens zu den Zeiten des E-Gitarren-Pyromanen Hendrix war die Gitarre nicht mehr nur ein Instrument, sondern ein kulturelles Symbol. War es ein männliches oder weibliches Sexualsymbol, eines der Subkultur und ihrer Heroen? Egal, vom Blues und Jazz führte ein Weg zu den Ikonen der Rockkultur, hin zu den Monstern des Heavy Metal, aber auch zur Weltmusik zwischen Flamenco, Samba und dem Wüstenblues heutiger Tuareg-Bands in der afrikanischen Sahara.
Wer mit einem geschulten Ohr den Programmpunkten des Jazz Fest Wien lauscht, dem wird auffallen, dass sich entlang der Gitarre sogar ein kleiner Fahrplan durch das Festival und durch die unterschiedlichen Spielweisen dieses Instruments entwickeln lässt.
Sicherlich, Marianne Faithfulls Gitarrist beherrschte das flinke Fingern auf dem Griffbrett wie ein Blueser, aber er spielte eher wie ein Rocker, hart und mit Riffs. Kein Wunder, denn: „The Blues had a baby and they named it Rock’n’Roll”. Richard Thompson hingegen, aus der britischen Folk-Bewegung kommend, kann mit grandioser Technik und viel Gefühl die europäische Spielweise mit der amerikanischen kombinieren.
Al Di Meola kann einen eigenständigen Hybrid zwischen Rock, Fusion, Tango und sonstigen Weltmusiken erzupfen, Earl Klugh die Verbindung zum Country&Western eines Chet Atkins und zu Lateinamerika auskosten, während Frank Schwinn bei Under Western Skies ebenso mittels Elektronik neue Landschaften erschließt wie der Gigant des norwegischen Jazz, Terje Rypdal. Sein Spiel, Coltrane, Hendrix, aber auch György Ligeti und dem Konzept George Russels viel verdankend, kennt den Blues, findet aber weit entfernt von ihm statt.
Das wird man wohl auch dem österreichischen Meister Wolfgang Muthspiel bei seinem Duo mit dem Pianisten Aydin Esen zugestehen müssen. Beide zelebrieren ihre leise Kunst im Hofsaal zwischen Jazz und Klassik, während der rothaarige Nordmann Ulf Wakenius mit der koreanischen Sängerin Youn Sun Nah Songs zwischen Chansons und Jazz auslotet. Und dass Mike Stern ein Bewohner eines eigenen Gitarrenuniversums ist, in dem man ungestört Rock, Jazz und Funk miteinander mixen kann, muss gar nicht sonderlich erwähnt werden, oder?
Trotz allem wird man eine gut gespielte Bluesgitarre nicht zu vermissen haben: die Musik von John Lee Hooker Jr. kommt ohne sie nicht aus, doch während Walter Trout seinen Blues immer noch mit der Raffinesse eines Bulldozers spielen kann, kommt die Black Country Communion mit dem Bluesrockstar Joe Bonamassa gleich als Abrisstrupp daher. Wehe dir, Wiener Staatsoper!
Gitarren können halt auch sehr laut sein. Wer danach noch genauer hinhören und hinschauen kann, wird sie zudem bei nahezu jeder Band auf der Bühne entdecken. Dr. John und Trombone Shorty haben ebenso Gitarristen in ihren Bands wie Cyndi Lauper, Charles Bradley, Seun Kuti, Bettye LaVette oder die Blind Boys. Guitar rules, aber ihre Herrschaft ist uns so alltäglich geworden, dass sie kaum noch auffällt. Genau das aber macht ihre eigentliche Macht aus.
Wer denkt schon noch daran, dass dieses so unschuldig aussehende, vergleichsweise leise und kleine Instrument ungemein viel für die Moderne geleistet hat: Die Blues-, Jazz- und Rockgitarre hat ihre SpielerInnen aus der Steifheit des Körperkorsetts gerissen, mit der einst junge Menschen klassische Etüden am Klavier einübten, und sie hat sie auch vom martialischen Gleichschritt der Marschkappellen befreit.
Die Gitarre hat der Musik ihr Körpergefühl zurück gegeben und ihren SpielerInnen ein neues Gefühl für die eigene Individualität verschafft. Nicht zuletzt ist die Gitarre das Instrument der Demokratisierung in der Musik: Kein Standesdünkel, keine Etikette konnte ihren Lauf hemmen, es war und ist das Instrument, dass die Massen zur Musik brachte und Musik zu einem Massenphänomen des 20. Jahrhunderts machte. Auch das lässt sich beim Jazz Fest Wien hören.
(Harald Justin)
Live Jazz Fest Wien: Richard Thompson 30. Juni 2011, Wuk
Live Jazz Fest Wien: Al Di Meola | Earl Klugh 1. Juli 2011, Wiener Staatsoper
Live Jazz Fest Wien: Under Western Skies 1. Juli 2011, Porgy & Bess
Live Jazz Fest Wien: Rypdal/Mikkelborg/Rypdal 4. Juli 2011, Porgy & Bess
Live Jazz Fest Wien: Wolfgang Muthspiel/Aydin Esen 5. Juli 2011, Porgy & Bess
Live Jazz Fest Wien: Dwiki Dharmawan World Peace Ensemble | Youn Sun Nah & Ulf Wakenius 10. Juli 2011, Rathaus/Arkadenhof – Eintritt frei!
Live Jazz Fest Wien: Mike Stern 11. Juli 2011, Porgy & Bess
Live Jazz Fest Wien: John Lee Hooker jun. & Band 5. Juli 2011, Reigen
Live Jazz Fest Wien: Walter Trout & Band 6. Juli 2011, Reigen
Live Jazz Fest Wien: Black Country Communion 16. Juli 2011, Wiener Staatsoper