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Reviews

Bryan Ferry 3.7.2011

Opernhaus-Rocker

Bryan Ferry, der einzig verbliebene Beau, den die siebziger Jahre hervorgebracht haben, tänzelt auf die Bühne der Wiener Staatsoper und rockt das Haus mit seinem persönlichen Coolness-Faktor.

Auf dem einsamen Nachhauseweg durch die stürmische Nacht, weg von der Wiener Oper, heim in meine über den Dächern Wiens gelegene Stadtvilla, denke ich über den heutigen Tag und insbesondere über das Konzerterlebnis mit Bryan Ferry nach. Was habe ich vorher alles über ihn gelesen, über ihn, den „Nicht-Sänger“, den „traurigen Ritter des Glamours“, den „Schmalzier des Art-Rock“, den „Salonlöwen“, der „mit melodramatischen Geschmalze“ sein Publikum betört. Spätestens einige seiner Alben, auf denen seine Stimme in den Hintergrund gemischt war und deshalb kaum hörbar war, gaben zu der Vermutung Anlass, dass die Rockkritik nicht ganz falsch mit ihrer Kritik lag.

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Glücklicherweise widerlegt das Konzert die schlimmsten Befürchtungen – was immer für ein Konzert spricht. Schlank und rank tänzelt er auf die Bühne, der schwarze Anzug sitz perfekt, die Schuhe sind geputzt, die Hausaufgaben gemacht, und wenn er mit den Armen fuchtelt, macht er das immer noch mit Grazie und einer Gelenkigkeit, die dem Alter eines Mittsechzigers Hohn sprechen. Im späteren Backstage-Talk gesteht er mir, dass an seinem guten körperlichen Zustand allein die Gene seines Vaters zuständig sein. (Alle anderen, die nicht Kinder seines Vaters sind, brauchen sich also über nichts mehr wundern!)

Die Band ist gleich in zweifacher Personaldichte auf die Bühne gekommen. Abgesehen von einem Bassisten, teilen sich zwei Gitarristen, zwei Drummer, zwei Keyboard-SpielerInnen, zwei Backgroundsängerinnen und zwei mit Paillettenkostümen sparsam bekleideten Tänzerinnen die enge Bühne. Im Hintergrund liefert eine große Videoleinwand die nötigen stilvollen visuellen Effekte.

Ähnlich wie seine Landsfrau Marianne Faithfull hat er beim Live-Sound auf alle Mätzchen verzicht. Kein übermäßiges Synthiegeschwurbel, sondern schnörkelloses, an der Rockästhetik geschultes Spiel. Gitarrist Chris Spedding, selbst ein legendärer Überlebender der Blues-Jazzrock-Ära Britanniens, entreißt seiner Gitarre bluesige Licks, und der Rest ist Rockkultur in reinster Form, bei dem es das Publikum überraschenderweise aber nicht zum Tanzen aus den Sitzen reißt.

Allein, dem Klang von Ferry Stimme kommt dieser Rockansatz entgegen: vor dem Hintergrund von zwei Gitarren und einer Rhythmusgruppe kann sie sich deutlicher entfalten und klingt weniger melodramatisch und weniger schmalzig denn je zuvor. Es macht Spaß, ihm an diesem Abend zu zuhören, wie er die Rockkritik und meine Vorurteile widerlegt und sich Stück für Stück das Publikum erobert.

Wenig vom aktuellen Album Olympia ist dabei, einige alte Roxy Music-Stücke schon, zwei Titel von Bob Dylan und am Schluss pfeift er noch ein sehr freies Solo zu „Jealous Guy“ und hat dann mit „Let’s Stick Together“ alle auf den Beinen. Allein, mit dieser im Arrangement kaum veränderten, alten R&B-Nummer könnte selbst ein totes Pferd einen Saal zum Tanzen bringen. Pferd hin, Ferry her, das Publikum ist begeistert, und als er später aus seiner Garderobe kommt, mittlerweile im Freizeitlook eines britischen Seniors, fragt er nur „Das ist ein wundervolles Publikum. Und diese Bühne, wundervoll. Meinen Sie, dass ich noch einmal wiederkommen kann?“ Ich denke: „Ja, wenn es der Wahrheitsfindung dient!“ und bin schon, recht zufrieden, unterwegs nach Hause.

Offensichtlich bin ich allein zu Haus. Niemand scheint mehr hier zusein. Kaum will ich alle Räume untersuchen, klingelt es auch schon an der Tür. Bryan Ferry und zwei seiner Tanzelfen stehen draußen. „Können wir rein kommen? Unser Hotelzimmer wurde gestrichen. Und wir wissen nicht, wo wir die Nacht verbringen sollen!“
„Wieso wurde euer Hotelzimmer gestrichen?“, frage ich, leicht verwirrt.
„Ach, irgendein Benji Drawn hat sich dort eingemietet, zusammen mit irgendeinem König der Robben. Morgen wollen sie auf eine Foto-Safari nach Budapest gehen und brauchen heute deswegen unbedingt mein Zimmer! Dort, wo sie früher gewohnt haben, wurde es ihnen zu eng. Jetzt brauchen wir aber ein Zimmer, nur für diese Nacht! Bitte! Außerdem soll Sergio Mendes ein Geschenk für mich hier abgelegt haben!“

Ich kombiniere: eins plus eins, Masse mal Beschleunigung und kein Ben-Tzi Droan mehr in meiner Wohnung, kein Matt Dusk mehr auf dem Sofa, keine Marianne Faithfull mehr drunter. Aber ein Benji Drawn und ein König der Robben als Hotelbesetzer? Hat sich Ferry vielleicht verhört? Hießen die beiden, die ihn vertrieben hatten, in Wirklichkeit nicht Ben-Tzi Droan und Seal? Wusste Ferry von ihnen, was es mit dem Geschenk von Sergio Mendes auf sich hatte?

Und bin ich jetzt ganz allein, für immer allein? Eine erste Träne kullert die Wange herunter. Wahrscheinlich bekomme ich in diesem Moment den Blues, werde morgen ganz weich, mach mir ein Loch und hänge mich auf. Wie sieht es noch einmal mit dem Blues beim Jazz Fest Wien aus? Eine Linie, vom 5. Juli mit John Lee Hooker Jr. über Walter Trout, Dr. John, Sandy Dillon, hin zu Cyndi Lauper und Black Country Communion am 16. Juli, am Ende des Festivals. Da könnte ich mich heilen lassen.

„Bitte, Lass uns doch herein. Du hast doch genug Platz in deiner Hütte!“
Stimmt, jetzt wo die ganze Bande ausgeflogen war, hatte ich wieder viel, viel in den alten Gemäuern. Und eine fürchterliche Leere in meinem Herzen.
„Bitte! Wenn du uns hereinlässt, darfst du mich sofort Bryan Herry oder Bryan Harry nennen, ganz wie du willst!“
Damit bin ich restlos überzeugt. „Kommt rein!“

Kaum sind sie über die Schwelle getreten, bricht allerdings die Hölle los. „Überraschung“ gellt es durch den Raum, und plötzlich kommen sie aus Schubladen und Kästen gekrabbelt, der Ben-Tzi Droan, der Matt und die Marianne, der Sergio und viele andere, die ich schon vergessen hatte. Wer nicht alles in meiner Villa wohnt! „Jetzt wir machen Party, viel lustig! Party wird dauern ewig. A never ending party. Wir uns haben versteckt, um zu testen dich. Ob du haben immer noch ein großes Herz. Du haben, wir jetzt wissen. Also … Paaaaaarty!“

Die ersten Gäste machen sich nackig und es sich bequem. „Das ist ja wie damals“, sage ich zu Marianne, „du weißt schon, du, Mick, das Bärenfell und der Schokoriegel!“ „Na, geh weg mit den alten Geschichten. Schokoriegel sind heute auch nichts mehr für mich. Gib sie den jungen Hupfdohlen von Bryan! Dann kann ich ihn fragen, ob er etwas Neues über Mick und Jerry Hall weiß! Und vergiss nicht, so eine Party ruft direkt nach einer Polizeirazzia!“

Uiii. Das wird ja eine spannende Nacht. Zum weiteren Nachdenken werde ich da wohl nicht kommen. Außerdem muss ich ja noch das Geschenk von Sergio suchen. Und schon rockt das Haus.
(Harald Justin)