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Seal 2.7.2011

Sealsoul

Das war kein gutes Konzert, das der Soulsänger Seal am Samstag in der Wiener Staatsoper ablieferte. Nein, es war ein sehr gutes Konzert. Ein wunderbarer, fabelhafter, grandioser, absolut begeisternder Auftritt dieses Soul-Sängers mit den Muskelpaketen und der kräftigen Samtstimme.

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Jedes Konzert hat seine Vorgeschichte. Die des Konzertes von Saal beginnt, als ich nach Hause komme. Ben Tzi Droan öffnet mir leicht entnervt die Tür. Welch ein Anblick! Wolfgang Puschnig, bei diesem Jazz Fest Jahrgang mit Saxofour unterwegs, verlässt gerade höchst belustigt den Raum. Warum?
Auf dem Sofa lümmelt sich der junge Matt Dusk herum. „Wien ist besser als ganz Kanada!“ ruft er und schwenkt ein Achterl Grüner Veltliner knapp an seinem Mund vorbei ins rechte Ohr. Unter dem Sofa reckt sich ein trotziges Händchen, und eine dazugehörige Stimme ruft: „I’m A Working Class Hero! Freundschaft! Peitscht mich, ihr Pelzbesessenen Enkel von Sacher-Masoch! Aber vorher bringt mir doch bitte endlich eine Flasche Wien, äh, Wein!“ Hatte sich auch Marianne Faithfull, wie alle anderen Teilnehmer des Jazz Fest Wien, bei mir einquartiert? Und wer war dieser singende Vollbart, der das Käppi von Richard Thompson trug?

George Michael hat einmal erzählt, dass sich bei ihm eine Woche lang eine Frau in der Wohnung aufgehalten habe, ohne dass er sie bemerkte. Aber bin ich George Michael? Nein.
Aber vielleicht bin ich eine Kuschelrobbe –oder etwa ein Kampfseal? Um diese Schicksalsfrage zu klären, bin ich zur Wiener Staatsoper geeilt. Mein, vergleichbar simples Ortungssystem hat mir den Weg gewiesen: Wo waren die lautesten Jubelschreie zu hören? Dort musste die Staatsoper sein!
„Wie es war?“, fragt Ben-Tzi Droan.
„Alles klar. Schicksalsfrage geklärt. Ich brauchte nicht den Seal machen. Da war schon ein anderer da. Und der war nicht gut. Der war supergut. Der war wunderbar. Ein Ereignis.“
„Na, meinst du das ernst? Wie war es wirklich? Könnte ich bitte eine ernsthafte Konzertkritik von dir haben?“

„Bitte schön: Das Konzert hat vermutlich pünktlich um 19:30 angefangen. Die 15 ersten Minuten habe ich verpasst. Als ich um 19:45 in der Oper auftauche, sitzt bereits niemand mehr auf den Plätzen. Alles tanzt, alles bewegt sich. ‚Das hat noch niemand geschafft!’, sagt eine junge Frau neben mir. Stimmt.

Tanzen ist Beten mit dem Körper, und in diesem Fall ist Seal, der britische Soulsänger mit deutscher Ehefrau und amerikanischem Wohnsitz, der Prediger der Bewegung. ‚Move Your Ass, Your Mind Will Follow’, heißt es so schön, und Seal gelingt es mit gewaltiger körperlicher Bühnenpräsenz und seinen zahlreichen Hits, dem Publikum zu einer wahrhaft erhebenden Erfahrung zu verhelfen. Der Mann. selbst kein Leichtgewicht, scheint nur aus Muskeln und Samensträngen zu bestehen, er springt über die Bühne wie ein Gott der Maskulinität, besingt dabei aber genau die großen Gefühle der einzigartigen romantischen Liebe, die ihn zum absoluten Sympathieträger aller Anwesenden macht. Bereits die deutsch-englischen Moderationen öffnen ihm die Herzen. ‚Ich bin ohne meine Frau hier!’, sagt er, und das Publikum macht ‚Ooooooh’.
Er verschenkt Wasserflaschen, spricht direkt mit Frauen und Männern im Publikum, er bekommt Blumensträuße geschenkt und revanchiert sich mit Autogrammen, die er auf seine Setlist schreibt und selbstlos vergibt.. Und er singt seine Hits, fordert zum ‚Waltz’ auf. Alles Walzer, passt. Er singt, rennt, springt auf die Verstärkerboxen, die Begeisterung ist überspringend, die junge Frauen vom Opernpersonal verlassen ihre Arbeitsplätze natürlich nicht, schauen aber absolut begeistert um die Ecken, jauchzen vor Begeisterung. Alles tanzt, im Parkett, in den vordersten Reihen, hoch oben in den billigeren Rängen. Alles klatscht, alles singt mit. Alle sind mit dabei. Bessere Kriterien für ein gelungenes Konzert gibt es nicht.

Ein wirklich geniales Konzert, weil dieser Musiker, dieser Sealhenry Samuel, eines verstanden hat: Musik ist Kommunikation, und Musik kann glücklich machen, ein Lachen auf die Gesichter der Menschen zaubern. Um sich dieses Glücksgefühl zu verschaffen, geht man gerne in ein Konzert. Und dieses Konzert von Seal war eines, das sicherlich für die Ausschüttung von immens vielen Glückshormonen gesorgt hat.

Noch dazu ist Seal kein Star, der nach dem Konzert die Scheinwerfer ausschaltet. Frisch geduscht und umgezogen, kümmert er sich im Backstage.Bereich um ausgesuchte Fans, nimmt ein Stückchen Bühnenboden der Wiener-Oper entgegen und freut sich mit seinen Fans über das gelungene Konzert, das eines der besten war, die je ein Soulsänger in Wien gegeben hat. (Die des heiligen Solomon Burke einmal ausgenommen!) Mal schauen, wie es dem afroamerikanischen Soulsänger Charles Bradley am 12. Juli auf dem Rathausplatz ergehen wird – er könnte am Stoff, aus dem musikalische Träume sind, weiterknüpfen.

Ben-Tzi Droan schluckt. „Da habe ich wohl etwas verpasst. Aber das lag an diesem Typen, diesem Sergio. Der klingelte an, hatte das Girl von Ipanema im Arm, ein implantiertes Lächeln im Gesicht und wollte hier überwintern, so wie die letzten Jahre. Er hatte sogar ein Geschenk für dich dabei, irgendetwas von Frank Sinatra!“
„Och nö, danke, ich ahne schon, was es ist.“
„Er hat es da gelassen!“
„Na super, dann weiß ich ja schon, was ich am Sonntagabend in der Staatsoper Bryan Ferry überreichen werde!“
„Viel Glück! Der wird sich freuen!“
„Die Macht wird mit mir sein!“
(Harald Justin)