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Sergio Mendes | Bahama Soul Club | Da Cruz 2.7.2011

Brasilianisches Lebensgefühl in Wien? Da Cruz, der Bahama Soul Club und Bossa-Pop-Botschafter Sergio Mendes spielten in der Fernwärme Spittelau auf. Ein Glücksfall für die Leichtigkeit des Seins in Wien.

An besonders guten Sommertagen scheint der gutmütige rote Jazz-Mond über Wien und strahlt mit der Sonne um die Wette. Ist das schön! Im Museumsquartier werden Sandburgen gebaut, die Papageien-Population ist sprunghaft gestiegen, alle Liegestühle am Donaukanal sind ganztägig besetzt, niemand braucht mehr arbeiten, die Lobau hat sich endgültig zur sündigsten Meile Europas mit Weltgeltung entwickelt, Palmenwälder überwuchern die Mariahilferstraße, auf der Fahrradfahrer Slalom fahren, während sozial entwurzelte Mitbürger ihre Kampfhunde gegen Kuschelpiranhas und Taschenhaie umtauschen, weil auf dem Heldenplatz Europas größtes, tiefstes und einziges Stadtmeer mit Wellengang entsteht. Wien ist Urlaub, lebenslang. Die ganze Welt will Wien werden und schickt ihre Botschafter nach Wien. „Was ist los in dieser Stadt? Wie können wir werden wie ihr?“

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Genau deshalb hatten sich gestern, am 2. Juli, diesem am Himmel leicht bewölkten Samstag, etwa Botschafter des brasilianischen Lebensgefühls angesagt. Weshalb es folgerichtig war, dass Mariana Da Cruz den Nachmittag an der Fernwärme Spittelau musikalisch eröffnete. Denn ihre Musik entsteht eigentlich in der Schweiz, und die Schweizer gelten wegen ihres überschäumenden Temperaments bekanntlich als Brasilianer Europas. Mit dem, was gemeinhin als typisch brasilianische Musik bezeichnet wird, wollen sie und ihre Band wenig zu tun haben. Sie singt zwar in der Sprache des lateinamerikanischen Fußballweltmeisters, ansonsten aber herrschen Rhythmen und Klänge vor, wie man sie aus HipHop, Rock und Pop kennt. Global modern, aber ist das das, was lebenslustige Wiener brauchen, die durch mehrere Stadtbesuche von Sergio Mendes längst gelernt haben, Hüften schwingend auf der warmen Bossa-Welle zu surfen?

Der Da Cruz folgende Bahama Soul Club, das Groove-Projekt von Oliver Belz hingegen, hat sich einem besonders leichtfüßig-groovenden Latin-Sound verschrieben. Der zieht vom ersten Moment an die richtigen Strippen, um beim Publikum erst die Füße, dann die Hüften und die Schultern in Bewegung zu setzen. Es groovt, die Sängerin bewegt sich im Rhythmus, ihre Stimme ist tatsächlich eine Gesangsstimme und nicht nur ein Verlautbarungsorgan für schrille Schreie und Slogans. Perfekt von der ersten Minute an. Willkommen in Wien, ihr freundlich groovenden deutschen Botschafter des leichten Seins! Was wird diese grandios aufspielende Formation wohl in Deutschland vom südländischen Lebensgefühl in der Donaumetropole erzählen? Wird das neue Wien zum Lebensmodell, wird es demnächst heißen: von Wien lernen, heißt Leben lernen?

Schon mehrmals war deswegen auch schon der Brasilianer Sergio Mendes nach Wien beordert. Lektion für Lektion haben ihm die WienerInnen erteilt. Wie haben sie die Hüften geschwungen, wie haben sie ihn, den brasilianischen Großmeister der Bossa, zu immer neue Zugaben gezwungen, um ihm vor Augen zu führen, dass „Mas Que Nada“ nicht eine bloße zwanzigminütige Einmalerfahrung ist, sondern eine Lebenshaltung? Was hat er in Rio den Zuckerhüten erzählen können?

Während ich noch über diese Frage nachdenke, tippt mir Ben-Tzi Droan, mein tibetanischer Hausheiliger, auf die Schulter. Seit Beginn des Jazz Fest Wien wohnt er unter meinem Sofa, und sein drittes Auge ist mittlerweile so rot wie der Blutmond, in dessen Zeichen das Jazz Fest begann. Über den von Friedensreich Hundertwasser gestalteten Zwiebelturm, der das Gelände an der Fernwärme triumphal überragt, hat er gerade eine kosmische Nachricht erhalten. „Du der Wanderer bist. Du reif für neue Erfahrung.“ Er lacht. „Großer Zwiebelturm sagen, wenn du willst wissen, ob du bist in Zukunft großes dickes Kuschelrobbe oder cooler Seal, dann du gehen jetzt schell in Wiener Staatsoper!“

Nach dem gestrigen Albtraum um Al Di Meola, Earl Klugh, Nähmaschinen und  Soft-Ice, Verwandlungen und Pralinen, brauche ich dringend Gewissheit. Vom VIP-Büffet genehmige ich mir noch eine Bio-Karotte und ein Stückchen Scheibenschwein und mache mich, Richtung Staatsoper, auf den Tripp durch nachwachsende Mangrovenwälder und blühende Auenlandschaften, über die einsame Reiher ihre geschäftigen Runden drehen. Wien wird immer schöner, aber wo ist bloß die Staatsoper geblieben?
(Harald Justin)