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Nothing But The Blues

Der Blues spielt heuer beim Jazz Fest Wien im Programm eine wesentliche Rolle. Vom Festivalbeginn mit John Lee Hooker Jr. bis gegen Ende mit Cyndi Lauper und der Black Contry Communion kann man sich durchgängig fragen: „Why I Sing The Blues?“

Cyndi Lauper (c: naive)
Foto: naive

Ach, was musste man nicht alles schon über den Blues hören und lesen. Er sei langweilig, nicht besonders cool. Menschen mit Langzeitgedächtnis können sich hingegen erinnern, dass der Blues in den sechziger Jahren besonders in Europa  angesagt war und für aufregend, gar für subversiv gehalten wurde. Verdammt, was gilt denn nun für die Musik, die lange genug als devil’s music bezeichnet wurde?

Natürlich kann der Blues nichts dafür, was seine Freunde und Verächter aus ihm machen. Trotzdem hat der Blues im Laufe der Jahre in nahezu jedem Land eine Unmenge von Musik, ganze Szenen um volle Bierlokale, Zeitschriften, Bücher und Magazine, Festivals und Tauschbörsen entstehen lassen. Der Blues lebt, wenn auch heute trotz des ihn umgebende Sozio-Biotops, tatsächlich eher unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Schnell vergängliche Moden lassen für die grundsätzliche Fragen des Lebens, die der Blues stellt, offenbar wenig Zeit.

Der Blues sei der Stuhl, auf dem wir alle sitzen, meinte John Lennon einst, und mit dem „wir“ meinte er alle Hörer und Musiker (Beatles inkludiert), die Rock ‚n’ Roll, Rock und verwandte Musiken spielen. „Der Blues ist die Basis. Wer den Blues nicht spielen kann, kann auch keinen Jazz spielen!“, erzählt Wynton Marsalis und nennt mit Son House (1902-1988) auch gleich seinen Lieblingsbluesmann. Wer will ihnen da widersprechen?

Schön lässt sich dann auch darüber streiten, was der Blues denn eigentlich ist. Ist er eine Abfolge von Akkorden und besonders betonten Taktteilen? Ja, er ist eine Ware, wie jede Musik heutzutage, er ist Entertainment, aber er ist auch große Kunst, die, wenn sie wirklich gekonnt aufgeführt wird, schwer zu spielen ist. Blues kann wunderschön sein, aber auch grottenhaft schlecht. Er bedeutet viel für viele Leute.

Vielleicht helfen die Worte des John Lee Hooker-Biografen Charles Shaar Murray weiter: „Vor allem aber ist Blues ein ausgesprochen praktisches und funktionales Gefüge von Methoden und Prozessen, um mit den schmerzlichen Aspekten des Lebens fertig zu werden. Wie Meditation oder Yoga bei den buddhistischen oder hinduistischen Völkern ist Blues eine strukturierte Form, sich auf das Selbst zu konzentrieren.“ Oder, um es in diesem Sinn mit den Worten von John Lee Hooker zu sagen: „Blues is a healer!“ Heilen kann der Blues aber nur, wenn man sich auf ihn einlässt. Das ist eine Sache der Übung, wie Yoga oder Meditation eben. Zusammen mit dem Blues kann man nur ein besserer Mensch werden.

Niemand kann davon besser ein Lied singen als der am 5. Juli im Reigen auftretende John Lee Hooker Jr. Vom Sohn der 2001 verstorbenen Blues-Legende John Lee Hooker war nahezu ein halbes Jahrhundert wenig Gutes zu hören. Klagen über den familiären Nichtsnutz füllten Gerichtsakten und keinesfalls die Musikmagazine. Schon als Sechzehnjähriger saß er im berüchtigten Soledad Prison ein. Bei einer der damals für Musiker wie Johnny Cash oder B. B. King üblichen Gefängniskonzerten, gastierte auch sein Vater im Soledad Prison, und der straffällige Junior durfte mit auf die Bühne. Zur Resozialisation hat’s wenig beigetragen, der junge Mann blieb bis nach dem Tod des Vaters das kriminelle Sorgenkind der Familie. „Junior war einfach ein verzogner Balg“, beschwerte sich einst seine Schwester Zakiya Hooker. Kurz vor dem Tod des Vaters versuchte sie selbst, eine Gesangskarriere zu starten, nachdem ihr Wunsch, Pianistin zu werden, schon frühzeitig scheiterte. Denn ihr Bruder Robert erhielt den Klavierunterricht, sie eine Nähmaschine. Aus Robert wurde ein orgelspielender Priester, aus ihr eine singende Hausfrau und aus dem verzogenen Familienbalg ein drogensüchtiger Krimineller. Bis das Jahr 2004 kam, John Lee Hooker Jr. im reifen Alter von 52 Jahren sein Debutalbum Blues With A Vengeance präsentierte und einen Sensationserfolg feiern konnte. Das mehrfach mit Preisen ausgezeichnete Album wies ihm den Weg in eine Zukunft als Sänger, der alle Tiefen des Lebens durchlitten hatte und geheilt war: seitdem geht es aufwärts, und wenngleich er nicht das Charisma seines Vaters hat – wer hat das schon -, hat er mit den darauffolgenden Alben die Grundlage für eine eigenständige Karriere gelegt. Sozialkritik kommt ihm leicht von den Lippen, die Musik ist eine gut durchwachsene Mischung diverser Bluesstile, und, vor allem, der Mann kämpft um sein Publikum, um seine Musik, um sich! Hörbar mitreißend!

Nicht weniger mitreißend, aber auf eine andere Art ist Walter Trout, der bereits am nächsten Tag, am 6. Juli im Reigen auftritt. Wegen beruflicher Fehlentscheidungen oder großer Sinnkrisen ist er nicht verhaltensaufällig geworden. Sinnvollerweise hat er seine Lehrjahre als Gitarrist in der Band von John Lee Hooker abgelegt, seine Gesellenprüfung bei John Mayall bestanden und ist seit 1989 auf eigene Rechnung unterwegs. Dass er heute meistens Bluesrock der härtesten Sorte spielt, lässt mitunter vergessen, dass er auch ein höchst sensibler Gitarrist sein kann. Auf seinem 2006er Album Full Circle demonstrierte er mit Gästen wie John Mayall, Jeff Healey und Joe Bonamassa (siehe Black Country Communion) die ganze Bandbreite seines Könnens. Mitten im immer härter werdenden Music- Business ist er seit über 20 Jahren eine beständige Kraft, die ihm wohl auch der Blues gibt. Den gibt er gerne weiter: neben Omara Portuondo und dem Buena Vista Social Club dürfte Trout einer der kommerziell erfolgreichsten Musiker des Festivals sein. Seine CD-Verkäufe in Frankreich, Belgien und Holland lassen selbst Rock- und Popstars neidisch werden. Die Macht ist mit ihm.

Dr. John (c: Lisa Hougrave)
Foto: Lisa Hougrave

Bereits am Donnerstag geht es mit Blues mit typischen New Orleans-Funk-Beigeschmack weiter. Dr. John der Nighttripper und Voodoo-Experte, seit Jahrzehnten eine legendäre Gestalt der Musikszene aus New Orleans, die auch im Rockbusiness Spuren hinterlassen hat und auf ungezählten Blues-, Rock und Jazz-Alben als Session-Musiker zu hören ist, kommt nach Wien und wird sein aktuelles Album Tribal dabei haben. Das Doppelkonzert im Arkadenhof des Rathauses wird er zusammen mit Trombone Shorty bestreiten, und beide Musiker werden ihr Ziel dabei nicht aus den Augen verlieren: mit dem Funk-Groove eine Stimmung zu erzeugen, die den Frust des Alltags nicht vergessen, sondern bewältigen hilft. Sprich: es geht um einen gewissen rhythmischen Wohlfühlfaktor, der die Glieder durchschüttelt, die Seele erreicht und Wunden heilen hilft. Dass Dr. John und Trombone Shorty sich beide nach den Verwüstungen, die der Hurrikan Katrina ihrer Heimatstadt schlug, für diverse humanitäre Projekte engagierten, spricht einmal mehr für den Blues. Blues Is A Healer!

“Du kannst den Blues singen und trotzdem Gutes tun!“, ist neuerdings von Seiten strenggläubiger Afroamerikaner hören, die eigentlich lieber auf die heilende Kraft im Jenseits vertrauen. Einst waren Blues und Gospel streng getrennte Kinder ihrer Eltern. Bis afroamerikanische Sänger Textzeilen wie „This Light Of Mine“ gegen „This Girl of Mine“ austauschten, vom Kirchenchor in die weltliche Musik wechselten, und Soul als Kind von Blues und Gospel entstand. Mit dem Doppelkonzert der Blind Boys of Alabama, der Generationen übergreifenden legendären Gospelgruppe, und der Soul-Sängerin Bettye LaVette am 9. Juli im Arkadenhof wird der hörbare Bewies für die naheliegende musikalische Verwandtschaft zwischen Gospel und Soul präsentiert. Wer bis dahin noch die Musik von John Lee Hooker Jr. im Ohr hat, wird erstaunt feststellen müssen, dass rhythmisch und sogar textlich Blues, Soul und Gospel heute näher zusammenstehen als je zuvor. Und wenn es dafür noch eines weiteren Beweises bedarf: am 12. Juli singt vor dem Rathaus der afroamerikanische Soulsänger Charles Bradley. Auch er ist mit 62 Jahren ein Spätberufener, aber wenn er singt, dann spart er weder mit Sozialkritik, noch mit Hoffnung auf ein besseres Leben. (Allerdings im Hier und Jetzt!)

Dem bluesbetonten Abschluss des Jazz Fest Wien nähern wir uns mit dem Konzert von Cyndi Lauper. Ihre bisherige Karriere, in deren Verlauf sie wesentlich als Interpretin von Pop-Songs brillierte, schien sie nicht unbedingt für das Leben als Blues-Interpretin zu prädestinieren. Umso erstaunlicher war dann das sogar von der Fachpresse beifällig aufgenommene aktuelle Blues-Album Memphis Blues. Selbst wenn das Album in ihrem Leben ein einmaliger Höhepunkt bleiben sollte, spricht für Hörerinnen nichts dagegen, sich das Album bei jeder sich bietenden Gelegenheit anzuhören – oder wenigstens einmal im Konzert am 15. Juli in der Staatsoper ihre spezielle Art der „healing force“ zu erleben – bevor Bluesrockgitarrist Joe Bonamassa mit der Black Country Communion eine Spielart des Blues präsentiert, bei der das Prinzip der Einfühlsamkeit den Weg der Überrumpelung, der Kraft und der Lautstärke nehmen. Wer immer schon wissen wollte, wie sich die Kinder von Led Zeppelin, Black Sabbath & Co. ihr Leiden an der Welt mit Powerriffs und Rockurgewalt wegtherapieren, kann sich am 16. Juli in der Staatsoper die Ohren durchpusten lassen.

Im Rahmen des Jazz-Festivals wird dieses Konzert das letzte sein, um am Blues zu schnuppern und sich danach die Frage zu stellen, ob Kritiker Recht haben, wenn sie behaupten, dass der Blues soo langweilig, öde und immer gleich sei, und wie man mit dem Blues – wie hieß es noch? „eine strukturierte Form zur Selbstkonzentration“ einüben kann.
(Harald Justin)

Live Jazz Fest Wien: John Lee Hooker Jr. 5. Juli 2011, Reigen
Live Jazz Fest Wien: Walter Trout 6. Juli 2011, Reigen
Live Jazz Fest Wien: Dr. John | Trombone Shorty 7. Juli 2011, Rathaus/Arkadenhof
Live Jazz Fest Wien: Blind Boys of Alabama | Bettye LaVette 9. Juli 2011, Rathaus/Arkadenhof
Live Jazz Fest Wien: Charles Bradley 12. Juli 2011, Rathausplatz – Eintritt frei!
Live Jazz Fest Wien: Cyndi Lauper 15. Juli 2011, Wiener Staatsoper
Live Jazz Fest Wien: Black Country Communion 16. Juli 2011, Wiener Staatsoper

Hot stuff CD / Bettye LaVette: Interpretations: The British Rock Songbook
Hot stuff CD / Blind Boys Of Alabama: Take The High Road
Hot stuff CD / Charles Bradley: No Time For Dreaming
Hot stuff CD / Dr. John And The Lower 911: Tribal