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Reviews

Till Brönner | Madeleine Peyroux 4.7.2011

Der Konzertabend in der Wiener Staatsoper fing gut an und hörte gut auf. Schließlich stand mit Till Brönner und Madeleine Peyroux ein Doppelpaket auf dem Programm, das kaum Wünsche offen ließ.

Ungewöhnlich, aber wahr: der unzweifelhafte Haupt-Act des Abends, Deutschlands Paradejazzer Till Brönner macht den Anfang, und die amerikanische Sängerin Madeleine Peyroux, die Dame für das Minderheitenprogramm, deren Name zudem vom Ansager wahrscheinlich deshalb noch falsch ausgesprochen wird, steigt mit ihrer Band erst nach dem fulminanten Auftritt des Till Brönner Quintetts auf die Bühne.

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Und weil die ersten Minuten oft entscheidend sind, sei kurz in aller Verschwiegenheit erzählt, dass ich im Backstage-Bereich Brönner schon vor dem Konzert begegnete. Lässig bewegte er sich im T-Shirt durch die Gänge, erteilt kurze Ratschläge, hört zu, bleibt selbst wenige Minuten vor dem Konzert ein netter, an allem interessierter Mann, der Souveränität und Ruhe ausstrahlt.

Als er dann nach kurzem, groovenden Vorspiel der Band im Anzug die Bühne betritt, hat sich eigentlich nicht viel geändert. Er nimmt das Flügelhorn und bleibt souverän und ruhig. Chorus für Chorus bläst er solo, dann wieder trifft er sich unisono mit dem Flötisten, um das Thema vorzustellen. Das geht eine Zeitlang gut, um dann noch besser zu werden.

Mit Witz und Selbstironie moderiert er den Jazz-Klassiker „Once Upon A Summertime“ an, erzählt, dass er ohne Kenntnis des Textes den Titel jahrlang falsch interpretiert habe. Zum besseren Verständnis stellte er deswegen bei leichter Pianobegleitung den Text extra vor. Dann erst greift er wieder zum Horn, und plötzlich dürfte selbst ein musikalischer Banause den Unterschied zwischen einem belanglosen Solo und einem beseelten Spiel erkennen, mit dem uns ein Musiker etwas mitteilen will. Nach der Ballade wechselt er in das leicht beschwingte Terrain brasilianischer Musik. Danach groovt es wieder, dann folgt ein Blues mit fettem Orgelklang.

Für Abwechselung ist gesorgt, das Spiel ist technisch perfekt, das Zusammenspiel traumwandlerisch und die Musik ist Inbegriff cooler Eleganz im Jazz. Und bevor nur ein Hauch von Langeweile aufkommt, sorgt Drummergröße Wolfgang Haffner mit einem klug konzipierten Drumsolo, das sich vom leisen Fingerspiel zum brachialen Getrommel hin zu einem flüssigen Rhythmus steigert, auf den alle Mitspieler einsteigen können, für wache Momente.

Es ist Haffners Spiel, das die Band wesentlich antreibt, seine luftige, stets groovend-swingende Trommelkunst ist mehr noch als das Spiel des ansonsten guten Saxofonisten Garant für die vorwärtstreibende Leichtigkeit des Sounds. Brönner steht ihm vor mit seinem an lyrischer Abstraktheit geschulten Spiel, Haffner aber treibt die Chose voran, so dass sie Flügel bekommt. Dabei wirkt dieser Jazz niemals hektisch oder hyperventilierend. Man vertraut sich ihm gerne an, so wie einem großen Fluss, um dessen in sich ruhende Kraft man weiß. Bravo!

Damit hat er sich mehr als ein Schnitzel bei Plachutta verdient, zu dem es ihn unweigerlich treibt. „Ich liebe die Küche dort. Wenn so viele Zutaten zusammenkommen, und dann etwas Meisterhaftes entsteht, ist das doch großartig!“ Bevor ich ihn fragen kann, ob seine Aussage zur Kulinarik auch musikalisch oder gar politisch einen Sinn ergibt, wird auch ihm ein Stück Parkett vom Bühnenboden überreicht. Er nimmt es entgegen und ist begeistert. „Großartig!“ sagt, und dabei ist das Präsent ja nur Ausdruck des Dankes für sein großartiges Spiel.

Als dann Madeleine „Ich-heiße-nicht-Pero“ mit ihrer Band auf die Bühne kommt, hat sie es nicht leicht. Ihre Stimme setzt sie mit dynamischen Sprüngen zwischen Laut und Leise ein, der Gitarrist ist ein Könner, der das Saitenspiel mit leisem Gewimmer in Richtung Country&Western führt, wohin ihm Keyboarder und Rhythmusgruppe gerne folgen. Das gibt ihrer Musik einen gewissen ruhigen Charme und verhilft ihr durch diese stetige Beständigkeit zu einer in sich ruhenden Kraft. Kein Fluss, ein Flüsschen, das aber in den großen Strom mündet.

Natürlich hat sie auch, wie Ben Sidran oder Bryan Ferry, einen Dylan-Song im Repertoire, zusätzlich aber neben eigenen Songs auch welche von Lennon/McCartney und Serge Gainsbourgh. Hier im Konzert wirken sie kürzer und konzentrierter als auf ihrer aktuellen CD Standing On The Rooftop. Immerhin, die Folk- und C&W-Grundierung bleibt, selbst bei Chansons, wobei ihre Version des Bluesklassikers „Love in Vain“ so originell wie gut ist. „Es war für mich eine Ehrensache, diesen Song zu spielen. Ich kennen ihn schon seit langem, eigentlich immer schon. Die Rolling Stones haben den Song auch gecovert!“ Aber ihre Version ist eigenartig und eigenwillig, scheinbar weit weg vom Blues, aber doch ganz nah. Das muss ihr erst einmal jemand nachmachen!

Andererseits, warum sollte(n) sich Geschichte(n) wiederholen, nachgemacht werden? Etwa um Böseres zu verhindern? Gestern noch – ich verweise auf die Berichte der vorigen Tage – wähnte ich mich scheinbar alleingelassen von allen Musikern, die seit Tagen eine Freudengemeinschaft in meiner von Palmen und Zitronenbäumchen umwucherten Stadtvilla bilden. Dann wünschte ich mir den Blues, den Healer. Nur um dann zu erfahren, das alles nur eine Finte war, und eine Riesenparty und deshalb möglicherweise eine Razzia angesagt war. Wer will das glauben?

Nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit kann sich im Jahr 2011 auf meiner Freudensfeier nicht wiederholen, was sich 1967 bei einer Razzia ereignete, während der Mick Jagger vorgeführt wurde und eine nackte Marianne Faithfull, Drogen, ein Schokoriegel und ein Pelz eine bedeutsame Rolle spielten. Genau deshalb sagte ich dem eintretenden Kommissar, der an den dick gewordenen Kottan erinnerte, sofort, dass ich gegen jegliche Form der Drogen sei. „Das Rauchen und der Suff, die treiben die Menschen uff! Drogen und Alkohol, fettes Essen und zu wenig Schlaf haben in meinem Leben keinen Platz, Herr Kommissar!“
Ben-Tzi Droan, der neben mir saß, fiel lachend vom Hocker. Irgendjemand musste ihm einen prima Witz erzählt haben.
„Nur ganz selten gönne ich mir, wenn meine Oma Portu sie mitbringt, eine Prise kubanischen Tabaks in meiner Pfeife. Und ab und zu esse ich ein Schnitzel!“

„Alles Lüge!“ erwiderte der Kommissar. „Es geht nicht um Schnitzel, Drogen und Alkohol. In ihrer Vorankündigung zum Auftritt von Sergio Mendes hieß es, dass er einem Freund eine möglichst wenig gebrauchte Unterhose von Frank Sinatra als Geschenk mitbringen sollte. Der Freund hat die Unterhose nie erhalten. Stattdessen sollen Sie ein Präsent bekommen haben. Wir vermuten, dass Sie im Besitz dieser wertvollen Reliquie waren. Geben Sie es zu: Sie haben die Unterhose von Frank Sinatra in der Pfeife geraucht! Wir haben die Reste bereits sicher gestellt! Ich muss Sie verhaften!“
Potzblitz! Hatte ich wirklich die Unterhose von Frankie in der Pfeife geraucht?

Gerade als der Kommissar mir die Handschellen umlegen wollte, trat die verrückte Musikerschar vor. „Ich war’s. It was you and me!“, sagte Marianne. „Ich war’s!“ Das war Bryan Harry. Matt rief „Nein, ich habe es getan!“ Auch der Robbenkönig bezichtigte sich. Alle wollten es gewesen sein. Deshalb konnte es keiner gewesen sein. Klarer Sieg für die Logik und die Freiheit.

Ach, mit Freunden wie diesen, die souverän bereit sind, ihre Freiheit für einen Freund in Not zu opfern, ist das Leben wie das genussvolle Dahingleiten auf dem Strom der Vertrauens. Ja, wahre Liebe ist nicht vergebens. Singt Madeleine Peyroux nicht „True Love is not in vain“? Bläst Till Brönner nicht deshalb so souverän, weil er sich als Teamplayer auf seine Mitmusiker verlassen kann?  Weil sie seine Fehler notfalls ausbügeln würden? Allein, ein Till Brönner macht keine Fehler. In diesem Moment müsste Michael Jackson um die Ecke kommen und mit dem gewissen Kiekser in der Stimme rufen „I love you!“ Alles wäre gut, und ich müsste nicht weiter an diesen Stoffresten ziehen, die in meiner Pfeife kleben. Und alles nur, damit es demnächst an dieser Stelle heißt: „Dr. John, schmeiß das Funk-Feuer an, damit der Gumbo-Eintopf schön heiß wird. Trombone Shorty, hast du die 1001 Zutaten? Wenn es dann schmeckt, dann laden wir Till und Madeleine als Dank für das Konzert zum Essen ein!“
(Harald Justin)