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Reviews

Omara Portuondo & Chucho Valdes 5.7.2011

Die älteste Musikerin des Jazz Fest Wien, die Kubanerin Omara Poruondo, und der Meisterpianist Chucho Valdes bewiesen bei ihrem grandiosen Konzert, dass Alter nicht vor der Begeisterung des Publikums schützt.

Fallen Überraschungen nicht dann immer besonders groß aus, wenn sie nicht erwartet werden? Hat irgendein Mensch etwas Großartigeres als gewohnte gute, möglicherweise leicht alterschwache Qualität von diesem Abend in der Wiener Staatsoper erwarten können?

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Schließlich war Omara Portuondo schon mehrmals in Wien zu Gast, und wer kennt sie nicht, die liebreizende Dame, die einst eine in Varietés für Furore sorgende wilde Sängerinnenschönheit war, und seit Jahren die weibliche Gallionsfigur des Buena Vista Social Clubs ist? Wegen ihres hohen Alters scheute man sich mitunter, mehr als nur wenige Nummern von ihr singen hören zu wollen. Wenn sie beim Buena Vista Social Club drei, vier Titel sang, war das nicht schon genug? Wer will schon am nächsten Morgen schuld an der Schlagzeile „Alte Sängerin durch Überanstrengung auf der Bühne gestorben“ Publikum trieb sie durch Applaus in den Tod!“? Wer stellt da nicht doch lieber den CD-Player auf Replay und genieße im stillen Kämmerlein den 123. Durchgang durch ihr aktuelles Album Omara & Chucho, das sie zusammen mit dem Pianisten Chucho Valdes eingespielt hat?

Valdes, ein Hüne mit einem von seiner Frau geschneiderten weißen Hemd, betritt als erster die Bühne und setzt sich hinter den Flügel. Die Band ist bei ihm, ganz bei ihm, wie sich schnell zeigt, als er die ersten Triolen anschlägt, der Bass sich tief eingräbt und Drummer und Perkussionist rhythmische Feinarbeit versehen. Der Klang des Flügel ist göttlich, wie im Porgy & Bess ist es ein Fazioli, und Valdes hat es nicht anders gehört, als er nach dem Konzert voller Bewunderung sagt: „It’s marvelous, it’s a wonderful piano!“

Allein, selbst das schönste Klavier wäre nichts ohne den Künstler, der die Tasten drückt. Valdes zeigt bereits beim Anfangsstück durch stupende Technik, dass er ein Meisterpianist ist. Um es direkt zu sagen: im Laufe des Konzertes wird er sich noch steigern, sein Anschlag entfesselt perlende Tonkaskaden, Woge um woge rauscht durch die Oper, und sehr schnell erspielt er sich mitten in den schnellsten Parts Applaus. Denn er ist nicht nur technisch versiert und ein später Schüler aus der imaginären Meisterklasse von Art Tatum, sondern auch ein Meister darin, die Menschen mit seinem Spiel seelisch zu berühren. Die Intensität seines Spiels lässt niemanden kalt, egal, ob er nun Kubanisches spielt, den Jazz-Klassiker „Birdland“ zitiert oder einen Blues wie „Summertime“ mit perfektem Timing anschlägt. Ein wahrer Meister.

In Omara Portuondo hat er seine kongeniale Meisterin gefunden. Wer die Achtzigjährige je zu alt für die Bühne gefunden hat, wird bereits nach einigen Sekunden ihres Auftritts eines Besseren belehrt. Nicht sie ist zu alt, die Bühne für sie ist zu klein, jedenfalls solange sie im Getümmel des Buena Vista Social Clubs sich die Bühne mit mehreren MusikerInnen teilen musste. Kaum erscheint sie, gebrechlich anmutend auf der Bühne, brandet Beifall auf. Sie hat mehr Charisma im kleinen Finger als andere Musiker Talent im ganzen Körper. Omara Portuondo aber hat zu ihrem Charisma auch noch Talent und jahrelange Bühnenerfahrung. Mit diesen Eigenschaften bestens ausgestattet, von einem Meister wie Chucho Valdes begleitet, nimmt eines der denkwürdigsten Konzerte in der Wiener Staatsoper seine Verlauf.

Denn statt gebrechlich zu sein, zeigt sie vom ersten Augenblick an vollen Körpereinsatz. Sie wiegt sich in den Hüften, animiert zum Mitklatschen und wird von Minute zu Minute immer aufgekratzter. Vor allem wird ihre Stimme immer voller. Wundervoll – und das Publikum steht bereits beim zweiten Song auf, honoriert ihre Kunst mit Applausstürmen. Sie beherrscht die Bühne, und das ist allemal besser als sie nur als eine unter vielen beim Buena Vista Social Club zu erleben.

Der Blick ins Publikum, auf mitzuckende Füße, Schultern und Hände liefert bereits nach wenigen Minuten den Beweis: ihre Musik packt das Publikum, sie hat es in der Hand, so als würde sie die Strippen ziehen, die die Menschen im Publikum in wohltuende Bewegungen versetzen. Um das Publikum so in den Griff zu bekommen, braucht sie nur wenige Minuten, einem Rockstar wie Bryan Ferry gelang dieses Kunststück erst gegen Konzertende, das vom Publikum wesentlich körperlich stocksteif erwartet wurde!

Nach händeringend erklatschten Zugaben, wird unter regem Publikumsgesang Klassiker wie „Guantanamera“ und „Besame Mucho“ angestimmt. Schöner hat es nie erklungen, trauriger auch nicht. Wird man sie noch einmal erleben können? Hoffen wir es einmal!

In der Garderobe, nach dem Konzert, werden sie und Chucho besonders geehrt: (ge)wichtige Persönlichkeiten des Wiener Kulturlebens gehen vor Omara auf die Knie und bitten sie inständig, bitte, bitte noch einmal nach Wien zu kommen. Genauso so muss es sein, wenn man großartigen Künstlern huldigt.

Als ich nach dem Konzert in meiner von Zitronenbäumchen und Palmen überwucherten und von frisch eingewanderten Schildkröten als Ziel anvisierten Stadtvilla ankomme, gönne ich mir erst einmal eine besonders dicke kubanische Zigarre und eine Flasche Rum zum Rumkugeln mit meinen Freunden.
Im Rau(s)ch geht mein Traum auf. Die Marianne, Brain Herry, Matt, und all die anderen sitzen um mich herum. Ben-Tzi Droan mit seinem durch Schlafentzug rot angelaufenen dritten Auge fragt: „Wie war es?“
Ich erzähle, dass ich gestern bei ihrem gemeinschaftlichen Zusammenstehen gegen den Vorwurf, ich hätte Frank Sinatras Unterhose in der Pfeife geraucht, eine erste Lektion in Sachen Demut erhielt. „Die zweite habe ich heute erhalten!“

„Uuii!“. Ein Raunen geht durch die Freunde. Selbst die Schildkröten erheben ihre Köpfe.
„Ihr wisst doch, bei Musik mache ich immer den Nippel-Test. Stellen sich meine Brustwarzen auf, bekomme ich eine Gänsehaut, mit der ich sprödes Holz aalglatt schleifen könnte, dann ist die Musik gut. Wenn nich’, neppich’!“
„Hört, hört!“
„Genau. Solch ein Abend wurde mir durch das Konzert von Chucho Valdes und Omara Portuondo geschenkt. Nippeltest bestanden. Sogar Tränen vor Rührung hatte ich in den Augen. Und dafür bin ich den Beiden unendlich dankbar. Dass ich so etwas noch erleben durfte! Mein zweite Lektion in Sachen Demut!“
„Schön, schön. Aber“, wendet Ben-Tzi Droan, „das Jazz Fest Wien dauert noch ein Weilchen. Meinst du, es warten noch weitere Lektionen auf dich?“

Aus lauter Vorfreude schießen mir wieder Tränen in die Augen. Plötzlich fangen auch die anderen an, eine einzige große Weinerei. Solche Situationen verlangen nach energischen Zurechtweisungen meinerseits: „Aufhören. Ab ins Bett. Eine Runde Schlafen. Morgen ist auch noch ein Tag, vielleicht nicht für jeden von uns, aber sicher für das Jazz Fest!“
„Sehr beruhigend und klug du sprichst!“
(Harald Justin)