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Dr. John | Trombone Shorty 7.7.2011

New Orleans in Wien

Tendenzwende beim Jazz Fest Wien? Bislang fing alles gut an und hörte gut auf. Doch nun: das Doppelkonzert von Dr. John und Trombone Shorty fing gut an, hörte aber sensationell auf. Wieso, weshalb, warum? Das soll natürlich kein Geheimnis bleiben.

Doppelkonzerte sind eine hübsch gefährliche Sache. Denn so ein Abend will geplant sein. Betreten da zwei ebenbürtige Musiker die Bühne? Oder ist der eine nur der minderwertige Opener, der dem Publikum schon einmal für den kommenden Hauptstar einheizen soll? Möglicherweise will aber der Stargast als erster auf die Bühne, um danach seine Ruhe zu haben, und der Zweitfolgende hat mit Saalflüchtlingen zu kämpfen? Mitunter sind aber auch sinnfällige Kombinationen möglich – ein Act etwa setzt die Möglichkeiten des anderen fort, ergänzt sie, oder führt sie weiter aus.

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Nun aber von der grauen Theorie zurück in die Praxis. Das Jazz fest Wien hatte in den Arkadenhof des Wiener Rathauses gebeten, und Dr. John, seine Band und Trombone Shorty, beide aus New Orleans, waren gekommen. Publikum, für beide genug, füllte den überdachten Platz in einem der schönsten Spielorte des Festivals. Ein New Orleans-Abend, bei dem sich die Musiker gut ergänzen können, nicht in Konkurrenz miteinander stehen müssen.
Wer nur für einen Cent Ahnung von der Legende Dr. John und dem jungen Shooting Star der New Orleans –Szene hat, wusste im Voraus um die Auftrittsordnung. Natürlich musste der eine Spur ruhigere Funk-Doktor eher ran als der vor Kraft kaum zu bändigende Posaunen-Kurze. Die Ruhe kommt, wie immer, vor dem Sturm!

Der Moderator, der gemeinsam mit Dr. John kurz zuvor noch am Bühneneingang stand und auf der Bühne noch liebvoll auf den Plastiktotenschädel auf Dr. Johns Orgel hinweist, kündigt denn auch voller Inbrunst den Eröffnungsakt des Abends an: „Please welcome – Trombone Shorty!“

Der lässt sich nicht lange bitten, setzt sich an Klavier und pustet aber so etwas von nicht in eine Posaune, dass allen Anwesenden klar ist: das ist nicht der junge Troy „Trombone“ Andrews, sondern doch wohl eher der gute alte Dr. John, der 1940 als Mac Rebennack geboren wurde.

Alle Welt müsste den Mann und seine Musik eigentlich kennen, er ist eine lebende Legende, gerade in die Rock ’n’ Roll-Hall of Fame aufgenommen, mit Grammys ausgezeichneten Alben und so oft auf eigenen und fremden Alben zu hören, dass es als Jazz-, Blues oder Rockfan kaum möglich ist, nicht mindestens einen Piano-Abdruck von ihm im Regal zu haben. Sein eigener Stil ist unverwechselbar, sein knarziger Gesang und die typischen New Orleans-Second-Line-Rhythmen im Midtempo-Bereich sind sein Markenzeichen, und genau das spielt er an diesem Abend aus. Mit „Iko Iko“, dem New Orlans-Schlachtgesang fängt er konsequenterweise an, zu „Let The Good Times Roll“ spielt er als gegenläufige Figur ausnahmsweise einmal auf der Gitarre das Riff von „Mustang Sally“, mit einem sehr schönen, weil sehr verlangsamten, bluesigen „When The Saints Go Marching In“ schickt er sich dann irgendwann selbst nach Hause. Fazit: ein für ihn typisches, ja sogar gutes Konzert, in dessen Verlauf er sich sogar richtig das Publikum erarbeitet, dass gegen Schluss tatsächlich Begeisterung zeigt. Mehr wäre von einem Konzert mit Dr. John  nicht zu erwarten, seine Kunst erschließt sich zunehmend über die heimische CD-Anlage. Ich bin zufrieden: von den vielen Konzerten, bei denen ich ihn erlebt habe und bei denen er mitunter brillant war, mitunter aber nur seine Hosenbeine lüftete und um sein Piano tanzte, war dieses einer seiner besten.

Er kam am Tag des Konzertes und er fährt wieder am Tag des Konzertes. Ohne ein Wort zu verlieren, geht er zu seiner Limousine, die im Hof auf ihn wartet. So bleiben einige Frage ungestellt. Gerne hätte ich ihn gefragt, auf welchen federgeschmückten Holzstock er sich diesmal stützte. War es noch der, den Charles Neville von den Neville Brothers ihm einst geschnitzt hatte oder besitzt er schon wieder einen neuen? Als ich ihm diese Frage 2004 stellte, antwortete er: „Nein, der wurde mir von einem Häftling geschenkt, der in Angola, diesem berüchtigten Knast in Louisiana, einsitzt. 300 Jahre, das ist seine Strafe. Das ist doch verrückt, 300 Jahre. Aber das ist das System.“ Das System schlägt zu, manchmal mit mehr als mit Holzstöcken.

Gern hätte ich ihn auch nach Gumbo, Red Beans and Rice gefragt und gewusst, was der New Orleans-Mann, der seit Jahren in New York lebt, eigentlich heute gerne isst. 1994 war seine Auskunft eindeutig und er sagte mir: „Ich kenne bestimmt 60 Gumbo-Rezepte! Meine Oma kannte noch mehr.“ Aber natürlich ist Gumbo nicht nur eine kulinarische Delikatesse, sondern viel mehr: „Das ist ein Gericht aus den schlechten Zeiten, aus der Depressions-Ära. Gumbo wurde aus der Not geboren, ein typisches Reste-Essen der armen Leute. So unglaublich schmackhaft.“ Schon verbindet sich Kochkultur mit Sozialgeschichte, hilft das Gumbo, sich an alte Zeiten, die nicht so gut waren, zu erinnern.
Da ich Dr. John im Zehnjahresrhythmus begegne, tröste ich mich damit, dass 1974, 1984, 1994 und 2004 gute Jahre für mich, 2011 ein gutes Jahr für ihn, aber nicht für uns war. 2014 sehen wir weiter.

Bis dahin wird Trombone Shorty ein Weltstar sein. Viele sind bereits jetzt schon nicht wegen Dr. John, sondern wegen dem jungen Posaunen-Star aus New Orleans gekommen. Der Gitarrist von Dr. Johns Band steht hinter der Bühne und ist sich sicher: „Nächstes Jahr ist Trombone Shorty ein Weltstar!“ Die Fähigkeiten hat er allemal. Er und seine hervorragend besetzte Band drücken vom ersten Ton an auf den obersten Intensitätsknopf. Druckvolle Bläserkaskaden, energische Gitarrenarbeit, wirbelnde Trommeln, entfesselte Energien. „On The Sunny Side Of The Street“ erklingt, ein Kollege freut sich: „Das ist die Titelmelodie von Walter Richard Langers Jazz-Sendung!“ Ob der Kurze das wohl auch weiß? Die Antwort fällt als Umzug der Band durch das Publikum aus. „When The Saints Go Marching In“ erklingt noch einmal an diesem Abend, jetzt aber schnell, klar, jetzt erheben sich bitte auch die Toten zum Tanzen! Die Marching-Band aus-New Orleans funktioniert, das Publikum feiert, fremde Menschen liegen sich in den Armen, das Dionysus-Prinzip der entfesselten Energien wirkt. Wenn es ein Konzert gibt, dass in die Ruhmeshalle der besten Konzerte in der Geschichte des Jazz Fest Wien zählt, dann dieses! Genauso so muss Jazz gespielt werden, wenn er lebendige Menschen hinterlasen will! Und sie sind so lebendig, dass sogar nach dem Konzert noch einige kleine Gruppen vor dem Rathaus stehen und sich miteinander unterhalten.

Darunter auch eine Gruppe junger Menschen, die bereits während des Konzertes durch begeistertes Gruppenrufen verhaltensauffällig wurde. Was sie gerufen haben? Wilde Vermutungen kursieren. Serbo-koatische Schlachtengesänge? Warum? Verirrte britische Hooligans? Wieso?
Des Rätsels Auflösung gewährt mir ein junger Rufer: die, die da riefen, sind Studenten aus New Orleans, die ihr Red Beans and Rice sehr vermissen und aus der Ferne ihren Football-Verein in New Orleans, von dem Trombone Shorty ein entschiedener Parteigänger ist, mit diesen Rufen im New Orleans-Slang unterstützen. Ja, New Orleans lebt, auch in Wien.
Man kann es nicht anders sagen: Trombone Shorty und seine Band haben bei diesem sensationellem Konzert enorme Energien freigesetzt. Gut nassgeschwitzt und elektrisiert, fühle ich mich wie eine Badewanne, in der sich gerade ein Zitteraal ausgetobt hat.

Trotzdem muss ich irgendwie nach Hause. Die ganze verrückte Bande erwartet mich in meiner Stadtvilla, die gerade zum Palast umgebaut wird. Der bereits abgeflogne Dr. John wird zwar kein Zimmer mehr brauchen, aber für Omara Portuondo soll nach ihrem schönen Konzert in der Staatsoper ein Ehrengästezimmer eingerichtet werden. An der Haustür erwartet mich bereits Ben-Tzi Droan. „Na, hat es geklappt? Du wolltest mir doch etwas mitbringen, von deinem Voodoo-Doktor, diesem Dr. John, der sogar Pianos heilen kann!“
Er zeigt auf sein entzündetes Dritte Auge. „Es schmerzt! Ich kann nur noch um die nächste Ecke schauen, nicht weiter!“

Dr. John Autogramm

Oops, das hatte ich total vergessen. Der gute Doktor hatte es zu eilig, um ihn mit einem Dritten Auge zu belästigen. Glücklicherweise fällt mir noch ein, dass ich ein Autogramm von ihm habe. „Äh, der Doktor hat gesagt, du sollst dir dieses Autogramm fünf Mal am Tag auf dein Drittes Auge legen. Dann wird alles gut.“

Ben-Tzi Droan schaut sich das Autogramm, bei dem Dr. John seinen Namenszug durch die Zeichnung eines Klaviers untermalt hat, an. „Das Piano sieht aber nicht gerade wie ein Fazioli aus“, meint er.
„Stimmt. Aber genau das ist der berühmte Dr. John-New-Orleans-Magic-Voodoo-Trick dabei: du reibst dein Drittes Auge an der Zeichnung, du wirst geheilt und umgekehrt wird die Kraft deines Dritten Auges auf die Zeichnung übergehen. Aus ihr wird ein richtiges Klavier werden.“
„Hört sich gut an!“
„Unglaublich, nicht wahr?“
„Ich werde sehen, ob ich dir glauben kann!“
„Du wirst ein Sehender werden und Klavier spielen.“
„Echt?“
„Was denkst du denn?“
„Dass du manchmal komische Lügengeschichten erzählst, so wie dein Dr. John!“
„Ach, völliger Unsinn. Und jetzt bitte das Autogramm auf dein Drittes Auge halten und schön reiben. Ich freue mich schon auf das Klavier!
(Harald Justin)