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Seun Kuti & Egypt 80 8.7.2011

Sommermärchen

Kollektive Raserei mit Trombone Shorty war gestern. Mit ähnlicher Energie taucht einen Tag aber bereits mit Seun Kuti Afrikas erster Gast beim Jazz Fest im Arkadenhof auf!

Das Sommermärchen des Jazz Fest Vienna geht weiter, und nach Gästen aus Kuba und Amerika, Deutschland und Österreich, Britannien und Brasilien, den Kapverden, Brasilien, der Schweiz und Norwegen kommt der Jazz mit Seun Kuti & Egypt 80 zwar nicht unbedingt nach Hause – dort dürfte Trombone Shorty bereits auf ihn warten –, aber seinen Ursprüngen doch ziemlich nahe.

Ein vibrierender Perkussionsteppich und Bläsersätze, die mit der Urmacht einer organisierten Elefantenhorde los preschen, bereiten das Publikum auf den Auftritt von Seun Kuti vor. Kaum ist er auf der Bühne, geht noch einmal ein energetischer Ruck durch die Band, ganz so wie es früher einmal war, als Cab Calloway oder James Brown nach dem Vorspiel der Band mit ihrem Charisma die Herzen der Zuschauer eroberten und der Musik einen weiteren Energieschock verabreichten.

Kuti wirbelt über die Bühne, wie sein Vater scheint er für die Bühne geboren zu sein. Und seltsam, bei aller geballten Macht, die von der Musik ausgeht, sehen die Musiker gänzlich unangestrengt aus. Bis auf Kuti, der nassgeschwitzt ist, sich verausgabt und trotzdem der glücklichste, kraftvollste Mensch im ganzen Universum des Arkadenhofs zu sein scheint. Ein großartiger Performer, der in seinen Texten die politische Botschaften nicht vergisst. Persönlich etwa glaube er nicht an Allah oder Gott, sagt er, aber er respektiere alle, die etwas Gutes im Namen der Religionen für die Menschen tun. Die Arroganz und den Hochmut der Politik aber …! Und er verachte die Politiker, die vor gewissen Pflanzen mehr Angst haben als vor Atomkraftwerken! Also singt er unter reger Publikumsbeteiligung das Lied „Plant it! Leit it grow!” Willkommen im Wein-Anbauland, Kuti!

Mit ungebremster Energie spielen er und seine Band ein Stück nach dem anderen. Woher sie bloß die Kraft nehmen? Bier und Wein können es nicht sein! Irgendwo in Afrika muss es eine geheime Energiezentrale geben, die seit Jahrhunderten afrikanische Musik und deren Kinder in Amerika und Europa versorgt. Seun Kuti und seine Band müssen einen direkten Draht zu dieser Energievergabestelle haben.

Schade nur, dass das Publikum zwar begeistert ist, aber leider längst nicht so zahlreich wie zu Trombone Shorty Konzert erschienen ist; schade, dass die Musikszene Afrikas in der Weltmetropole der Musik noch nicht so viele begeisterte Fans gefunden hat, wie sie es verdient. Schade auch, dass wahrscheinlich das mediale Echo dieses energetisch so aufputschenden Konzertes recht gering ausfallen dürfte. Seun Kuti hat mehr verdient. Gut, dass wenigstens die britische und amerikanischen Musikmagazine über diesen derzeit wohl besten afrikanischen Musiker berichtet. Ansonsten müsste man verzweifeln.

A propos Sommermärchen! Unglaublich, aber wahr: aus der Stirn, auf der gestern noch ein entzündetes Drittes Auge rot funkelte, aus der Stirn, das mit dem Dr.John-Magic-Voodoo-Autogramm bestrichen werden sollte, aus genau dieser Stirn entsprang, wie versprochen, am gestrigen Abend – ein Klavier! Noch ist es zwar sehr klein, es hat aber bereits alle Tasten im Kasten. Black and white, unite! Total niedlich, das Kleine.

Omara schickte ein Glückwunschtelegramm und wollte Ehrenoma werden. Geht in Ordnung. Jetzt müssen wir nur noch nach einem Namen suchen. Zuerst dachten wir wahlweise an „Trombone“ oder „Shorty“ wegen des gestrigen Konzertes von Trombone Shorty. Dann zogen wir „Kuti“ in die engere Wahl. Aber ob das so passende Namen für ein kleines Klavier sind? Trombone Klavier? Kuti Klavier? Wenn nicht noch bessere Vorschläge kommen, warten wir einfach die nächsten inspirierenden Konzerte des Jazz Fest Wien ab, nicht wahr, du niedliches kleines Ding, oder?
„Plink, plink!“
(Harald Justin)