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Youn Sun Nah Duo | Dwiki Dharmawan 10.7.2011

Nach drei Abenden kollektiver Raserei, Trance und Erleuchtung muss auch einmal Ruhe einkehren im Arkadenhof des Wiener Rathauses. Intensiv aber darf es schon noch werden.

Trombone Shorty und seine Gebläse erweckte die Toten zum Leben, Seun Kutis Trance-Raserei konzentrierte die neugefundene Energie im Energiespeicher des eigenen Leibes, die Blind Boys entzündeten den Funken der Erleuchtung. Mehr geht erst einmal nicht. Danach muss einfach Ruhe einkehren, Ruhe zum Luftholen.

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Ruhe muss nicht Stille heißen, nicht Langeweile, nicht Ereignislosigkeit. Wer könnte diese Aussage besser bestätigen als das koreanisch-schwedische Duo der Sängerin Youn Sun Nah und des Gitarristen Ulf Wakenius. Letzterer ist ein Meister der sechs Saiten.

Für dieses Prädikat gibt es keine bessere Bestätigung als die seines ehemaligen Arbeitgebers. Der legendäre Pianist Oscar Peterson hatte bei seinem letzten Besuch in Österreich vor seinem Tod nur Lob für seine Gitaristen übrig: „Ulf is one of the greatest guitarrists ever!” Die hiesige Post spendierte Peterson eine Briefmarke, seine Autobiografie war gerade erschienen, und in ihr finden sich die denkwürdigen Sätze: „…(Ulf) hatte alles, was man sich von einem Musiker in einer kleinen Band nur wünschen kann. Er stieß zu uns und wurde für mich und die anderen sofort zu einer Quelle der Inspiration, was zu abendlichen Solowettbewerben zwischen Niels, Ulf und mir selbst führte. Neben seiner extrovertierten Kraft besitzt er in Balladen ein großes harmonisches Einfühlungsvermögen, sowohl als Solist wie auch als Begleitmusiker.“

Sowohl seine extrovertierte Kraft als auch sein harmonisches Einfühlungsvermögen demonstrierte er aufs Vortrefflichste im Duo mit der koreanischen Sängerin Youn Sun Nah. Sie, mit kontrollierter Stärke in der Stimme, selbst wenn es schreiend laut wurde oder Balladen von Tom Waits oder Nat „King“ Cole  gecovert wurden; Wakenius, wenn er den Facettenreichtum seiner eigens für „mich in Stockholm angefertigten akustischen Gitarre“ durch sparsamen Einsatz elektronischen Equipments ebenso variierte wie durch den brachial-gekonnten Einsatz einer Wasserflasche. Wakenius, durch seine Arbeit mit dem radio. string. quartet. vienna noch in bester jüngerer Erinnerung, freute sich jedenfalls, wieder in Wien zu sein. „Es ist großartig, wieder hier zu sein. Auch die Zusammenarbeit mit Youn Sun Nah ist immer wieder für mich ein Erlebnis.“ Das war hörbar.

Die Sängerin stimmt ihm zu: „Ulf ist großartig.“ Und die Mentalität der Schweden sei ihr auch nicht sonderlich fremd: „Die schwedische Musik hat so etwas Ambientartiges an sich, so etwas Schwebendes. Das passt gut zu unserer Mentalität.“ Ein neues Traumpaar, das durch die Intensität ihres Live-Duospiels dem Genuss ihrer mit mehreren Begleitmusikern aufgenommen Studio-CDs eine weitere Dimension hinzu fügte.

Der Auftritt von Dwiki Dharmawan World Peace Ensembles ist da schon schwieriger zu bewerten. Musik, gerade die aus fremden Kontinenten, ist mitunter recht schwierig zu verstehen, gar zu bewerten. Musik spricht, entgegen aller gängige Vorurteile, nicht für sich selbst. Wenn Youn Sun Nah einen amerikanischen Folksong wie „Shenandoah“ interpretiert, ist der Bezugsrahmen „Korea, Amerika und amerikanischer Folk-Song“ klar. Bei instrumentaler Musik würde es schon schwieriger, und wenn gar noch andere Kulturen im Spiel sind, hört es sich auf mit der Deutungshoheit und allen Gewissheiten.

Dwiki Dharmawan hat für das Jazz Fest Wien eigens neue Stücke komponiert, der Saxofonist bläst mit aller Kraft, der Fusion-Jazz der achtziger Jahren feiert seine Rückkehr, aber was genau soll uns diese Musik sagen? Um diese Frage zu klären, dürfte es sinnvoll sein, sich einmal ernsthaft mit dem Jazz-Mann aus Indonesien zu unterhalten.

Und was macht man nicht alles für die Leser und ihr Informationsbedürfnis? Wer kann folglich einer Einladung zum gemeinsamen Essen nicht ausschlagen, wer wird einmal mehr Lukullus und Jazz zusammenbringen, und wo wird demnächst mehr über das indonesische Verständnis des Jazz zu lesen sein? Exakt, genau hier auf impulse!

Bis dahin halte ich Dwiki und seinem Ensemble ein Zimmer frei in meinem Stadtpalast, während die Pustefix-Bläser von Saxofour ihrerseits mit „Rate die Melodie“-Spielen und dadaistischen Späßen die Bauarbeiter bei guter Laune halten. Seitdem die Konzerte im Arkadenhof mir so gut gefallen, hat der Bautrupp die Aufgabe, die Fassade des Rathauses als Vorbild für die meines neuen Stadtpalastes zunehmen. So etwas will ich auch haben, mitsamt dem romantischen Innenhof. Das kann doch wohl nicht so schwer sein!

Und eigentlich ist es ja nur für das Kleine, unserem der Stirn von Ben-Tzi Droan dank des Magic-Voodoo-Tricks von Dr. John entsprungenen Klavierchen. Es soll es einmal besser haben als ich. „Bis zum 63 Lebensjahr wuchs ich“, höre ich mich schluchzend seelenvoll sagen, „ohne Freunde auf, schlief zwischen Küchenregalen mit Zitronenhühnchen, Omas Gumbo-Rezepten und Chilischoten, zog als Koch in psychiatrischen Krankenhäusern zwischen Kalifornien und Alaska hin und her.“
„Plonk! Plonk!“ Unser Kleines meldet sich, das höre ich am Anschlag, ganz empört zu Wort.

Till, der nach seinem schönen Konzert sich ebenfalls in meinem Stadtpalast einquartiert hat, übersetzt. Als Flügelhorn-Spieler, der sich natürlich auf geflügelte Worte versteht, kennt er sich auch mit den Sprachversuchen derer aus, die noch ein großer Flügel werden wollen. „Unser Kleines hat gesagt, dass dein Schnief-und-Schluchz-Lebenslauf sich verdammt ähnlich wie der des Soulsängers Charles Bradley anhört, der am 12. Juli am Wiener Rathausplatz auftritt.“

Himmel hilf! Zwei „Plonk“ und ich bin entlarvt. Zwei Töne können mehr als zehn Worte aussagen. Gut, dass Dwiki Dharmawan mir demnächst mehr über die Übersetzungsarbeit von Tönen erzählen wird. Während ich Till mitteile, dass er leider ausziehen müsse, weil demnächst einige asiatische Freunde mitsamt ihrer Familien seinen Wohnkomplex benötigen, beginnt das Kleine bereits mit ersten Boogie-Läufen und Mozart-Studien. So süß. Sind so kleine Tasten! Kann man solchen Tasten böse sein?
(Harald Justin)