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Reviews

Liza Minnelli 17.7.2011

That’s Entertainment

Da war sie, Liza Minnelli, die letzte der Diven und begeisterte Fans und alle, die mit ihr den erfolgreichen Abschluss des 21. Jazz Fest Wien feierten.

Mit erschreckend dünnen Beinen stakst die Diva auf die Bühne der Wiener Staatsoper, um gleich beim ersten Applaus in Tanzschritte zu verfallen. Das Publikum steht auf, wird aber von der Minnelli sofort gebeten, sich wieder zu setzen. Nach dem schnellen Opener gibt es eine kurze Verschnaufpause. Wunderbarerweise ist sie beim Sprechen mehr außer Atem als beim Singen. Das klappt, in den tieferen Tonlagen besser als in den hohen. Die dunkelschwarzen Haare dürften gefärbt sein, die Nase wurde schon vor Jahren geschönt, doch die Knieoperation bereitete ihr offensichtlich Mühe.

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Doch sie wäre nicht die Minnelli, würde sie ihre Show durch derlei Kleinigkeiten beeinträchtigen lassen. Sie ist durch die harte, alte Schule des american showbiz gegangen. Dessen erste Regel lautet, dass noch nicht einmal Tote sich einen schlechten Auftritt erlauben können. Und die Minnelli ist noch nicht einmal halbtot, sondern eine im Geiste Junggebliebene mit leichten körperlichen Blessuren, wie sie jede bessere Pensionistin aufweist. Aber sie zeigt es allen, die sie schon zum alten Eisen abgelegt haben.

Begleitet von ihrem Ensemble mit dreiköpfiger Bläsersektion, Rhythmusgruppe und einem Pianisten, dem ein wundervoll-jazziges Solo-Zwischenspiel erlaubt wird, singt sie sich durch ihr Repertoire. „Cabaret“ darf nicht fehlen, „New York, New York“ nicht, und all’ die Songs nicht, in denen sie der Liebe nach dem Mann schlechthin nachtrauert und von den Maskeraden singt, die es braucht, um sich ganz der Liebe und dem Verlangen nach dem Mann hin zu geben. Frauen verstehen das. Schwule Männer auch.

Das Tragische und Bewundernswerte zugleich ist, dass schwule Männer heute diese Maskeraden nicht mehr nötig hätten, andere sowieso nicht. Einzig auf der Bühne hat sie noch Bestand, da steht er, der einsamste Mensch auf der Welt, der sich so anstrengt und die Rolle der Entertainerin spielt, eine Maske aufhat, um geliebt zu werden, sich dieser Liebe aber natürlich längst gewiss sein könnte. Sie bräuchte keine ungelenken Tanzschritte zu machen, sei könnte kriechen, das Publikum würde sie lieben. Tatsächlich klatscht es, als sie sich endlich einen Stuhl nimmt und im Sitzen singt. Dann aber steht sie wieder auf, kämpft sich durch ihre Lieder, deren Texte sie von drei geschickt am Bühnenboden platzierten Telepromptern abliest. Erst in der allerletzten Zugabe, als die Band schon auf dem Weg in die Garderobe ist, die Bildschirme der Teleprompter erloschen sind, singt sie a cappella und gänzlich frei.

Es ist vielleicht das schönste Lied an diesem Abend: das Konzert hat sie gemeistert, es liegt hinter ihr, der Druck der Arbeit, die Angst vor dem Misslingen, scheinen von ihr gefallen sein wie ein zentnerschwere Last, und endlich ist auch die Stimme wieder voll da, in den Tiefen und in den Höhen. That’s Entertainment – und das ist auch Entertainment, wenn es vorbei ist, nichts mehr schmerzt und das Rollenspiel vorbei ist.

Wenn das die insgeheime Lektion dieses Abend ist, dass das so Leichtausschauende oftmals schwer erarbeit ist, dann war das ein gelungenes Schlusskonzert des Jazz Fest Wien. Soviel anstrengende Vorarbeit im Planungsvorfeld, so viel Arbeit bei der Festivalbegleitung, nur, damit alles einen geregelten, entspannten Ablauf nehmen kann, nur damit das Jazz Fest Wien Künstler und Publikum  mit dem Gefühl der Leichtigkeit des Seins zurücklässt. Ein Riesendank an das Team, an alle Musiker und an das Publikum, das diese Ausgabe des Jazz Fest Wien erst zu dem gemacht hat, was es wurde, als es am 15. Juni mit dem Konzert von Marianne Faithfull im Zeichen des Blutmondes begann: ein Monat der überlebensfrohen Musik und vieler Begegnungen zwischen Cesaria Evora, Trombone Shorty, Seal, Bryan Ferry, Seun Kuti, den Blind Boys of Alabama, Ben Sidran, Dwiki Dharmawan, den Great Voices of Harlem, Saxofour und Charles Bradley und vielen anderen. Danke!

Was mich nicht der Aufgabe enthebt, die Geheimgeschichte der Festivalgäste in meiner Stadtvilla zu Ende zu erzählen. Wir erinnern uns, sie alle hatten sich bei mir einquartiert, Zimmer und Plätze unter und auf dem Sofa belegt, Zitronenhühnchen und Gumbo zubereitet, Dr. Johns Magic-Voodoo-Trick hatte aus der Stirn von Ben-Tzi Droan ein Klavierchen entspringen lassen, vier böse Buben hatten den Überbringer einer frohen Botschaft pulverisiert und wurden von den Blind Boys zu einem Konzert in der Wiener Staatsoper strafverpflichtet. Einzig meine Strafe als Anstifter des Ganzen stand noch aus. Die Blind Boys hatten ihre Köpfe zusammengesteckt und beratschlagten.
„Hat der Angeklagte noch etwas zu seiner Verteidigung vorzutragen?“
„Ja, verehrte Blind Boys. Ich bekenne mich schuldig. Ich habe das alles angerichtet. Ich möchte deshalb in meinem Schlusswort ein Gedicht von Goethe zitieren.“
„Aber schön mit Betonung vortragen!“
„Natürlich, dem Anlass entsprechend, verehrte Blind Boys. Also nun, das ‚Lied des Türmers’ von Goethe geschrieben, vor mir gesprochen:

‚Zum Sehen geboren,
Zum Schauen bestellt,
Dem Turm geschworen,
Gefällt mir die Welt.
Ich blick in die Ferne,
Ich sehe in der Näh
Den Mond und die Sterne,
Den Wald und das Reh.
So seh ich in allen
Die ewige Zier,
Und wie mir’s gefallen,
Gefall ich auch mir.
Ihr glücklichen Augen,
Was je ihr gesehn,
Es sei, wie es wolle,
Es war doch so schön!’

„Perfekt rezitiert“, lobte Ben-Tzi Droan. „ist zwar nicht Dylan, hat aber etwas.“
Die Blind Boys weinten aus Rührung still vor sich hin. „Wenn das dein Schlusswort war, können wir nicht anders und verzeihen dir: Wir verurteilen dich zu nur dreihundert Jahren Frondienst, abzuleisten bei impulse, dem Online-Magazin des Jazz Fest Wien. Auch wenn die diesjährige Ausgabe des  Jazz Fest Wien jetzt zu Ende ist, heißt das nicht, dass wir ein Jahr bis zum nächsten Jazz Fest auf Nachrichten aus der bunten Welt der Musik in Österreich verzichten können. Es muss jetzt weitergehen mit Berichten aus Jazz, Blues, Worldmusic und den Nachrichten von einem besseren Leben. Nehmen Sie das Urteil an?“
„Ja, Blind Boys, ihr könnt beruhigt mit Ben-Tzi Droan nach Lampukistan zu eurer spirituellen Reise aufbrechen. impulse wird weiter berichten!“
„Das werden wir uns genau anschauen!“
„Da möchte ich doch drum bitten!“
(Harald Justin)