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Jazz Fest Wien 2011

In jedem Ende liegt ein neuer Anfang!

Kaum hat man sich an das große Transparent mit dem Schriftzug vom Jazz Fest Wien an der Wiener Staatsoper gewöhnt, das vom Einzug des Jazz und anderer verwandter Musiken in die heiligen Opernhallen kündet, ist die Jazz-Herrlichkeit auch schon vorbei.

Mit einem Charity-Konzert von Marianne Faithfull zugunsten der United Nations Women’s Guild hatte sie am 15. Juni begonnen, die 21. Ausgabe des Jazz Fest Wien. Fast genau einen Monat und mehr als vierzig (!) Konzerte später endete das Festival mit einem Konzert von Liza Minnelli, das vom Publikum begeistert aufgenommen wurde, zudem aber auch Wehmut und Nachdenklichkeit hinterließ.

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Das ist gut so. Denn eine Spur Nachdenklichkeit gehört zum prallen Leben wie das Salz in der Suppe. Und wenn die Musik der Künstler, die diesmal auftraten, sich auf den Nenner bringen ließe, dass sie der Lust am Leben, gar am Überleben in schwierigen Zeiten frönte, dann gehört zu allem Übermut irgendwann die Einsicht, dass es manchmal schwer fallen kann, sich den Optimismus zu bewahren. Praktisch heißt das: Wenn Trombone Shorty und seine Band aus New Orleans, Seun Kuti mit seiner Band aus Nigeria, der afroamerikanische Soulsänger Charles Bradley, Seal, Omara Portuondo mit Chucho Valdes und Cyndi Lauper ihre überbordende Lebenskraft zur Schau stellten und über alle Mächte des Bösen, der Langeweile und des Alters mit der Leichtigkeit überbordender Kraft triumphierten, dann rief Liza Minnellis Abschlusskonzert uns termingerecht und bittersüß die Gebrechlichkeit des Leibes und die Endlichkeit des Seins vor Augen. Alles hat einmal ein Ende. That’s life – that jazz!

Da erscheint es fast schon unnötig, sich einiger Binsenwahrheiten zu vergegenwärtigen. Etwa, dass ein Jazzfestival keine x-beliebige Ansammlung von Musikern ist, die der Wind des Schicksals gerade zufällig in die Stadt geweht hat. Ein Jazz-Festival sollte mehr sein als die Summe seiner Teile, und deshalb sollte es nicht nur bekannte Namen bestechen, sondern durch eine Programmatik, der sich man sich anvertrauen kann und die sicher durch den Fluss der Musik führt. Zudem dürfte klar sein, dass nicht jede Ausgabe eines alljährlich stattfindenden Festival besser, qualitätsvoller, größer sein kann als das vorausgegangene. Ein ständiges besser, weißer, sauberer gibt es nur in der Waschmittelwerbung, nicht im wirklichen Leben. Und schlussendlich sollte es auch einmal möglich sein, zu sagen, welcher Musiker am Tag des Konzertes einen schlechten Tag hatte, welcher trotz aller Planungen fehl am Platz war, wer überraschenderweise besser als vermutet war. Glück ist ohne Unglück nicht zu haben. Seien wir ehrlich: that’s life – that’s jazz.

Lauter, bunter und kraftvoller denn je, sollte diese Ausgabe des Jazz Fest Wien werden. Und eines lässt sich ohne Einschränkung sagen: genau so wurde es. Einige hatten Trombone Shorty möglicherweise schon bei seinem grandiosen Auftritt im Porgy & Bess gesehen, diesmal im Arkadenhof des Wiener Rathauses war er besser denn je und hätte selbst Toten neue Lebensgeister eingeblasen. Sensationelle Musik, frenetischer Beifall – sicherlich eines der mitreißendsten Jazz-Konzerte, die Wien je gehört hat. Und hätte wirklich jemand gedacht, dass ein Schmusesoul-Sänger wie Seal die Wiener Oper rockt, auf Verstärkern herumturnt und über die Bühnen springt wie ein schwergewichtsloser Schwergewichtsboxer? Charismatischer als man ihn je vorher erleben konnte, wickelte er das Publikum nicht um den kleinen Finger, sondern um den Bizeps seiner Oberarme. Ebenso großartig wie unerwartet.

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Erwartet großartig, aber überraschenderweise auf ihre Art noch eine Spur besser als erwartet, war das Konzert von Omara Portuondo und Chucho Valdes. Wer erwartet hatte, dass die große alte Dame der kubanischen Musik sich auf ihr Altenteil zurückzieht und es ruhig angehen lässt, sah sich freudig überrascht: das Zusammentreffen mit dem Piano-Genie Chucho Waldes erwies sich als Verjüngungsbrunnen für die Pensionistin, die schon einmal Hand auf ihre kreisenden Hüften legen ließ.

Omara Portuondo gehörte zu gleich zwei der fixen Programmschienen, den „Diven“ und den „großen Stimmen“, auf dem Jazz Fest Wien. Launisch wie eine Diva ist sie nicht gerade, sondern eher eine zuckersüße, urfreundliche alte Dame, die sich sogar nach dem Konzert noch rührend um ihre Gäste in der Garderobe kümmerte. Sie hat ein großes Herz und eine große Stimme.

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Die Programmschienen „Diven“ und „große Stimmen“ gingen im besten Sinne des Wortes überraschungsfrei über die Bühne. Niemand hatte von längst bewährten Künstler/innen wie Marianne Faithfull, Cesaria Evora, Bryan Ferry oder sogar Liza Minnelli etwas anderes erwartet, als das, was sie auf der Bühne boten. Das ist ja das Schöne an diesen mittlerweile gereiften Künstlerpersönlichkeiten: sie sind so eigen und unverwechselbar, das man sich gemütlich zurücklehnen und ihre Konzert einfach genießen kann. auch das gehört zum Wohlfühlfaktor eines Konzertes. Zu dem trugen auch Till Brönner mit seinem dezent swingenden Jazz bei und die Great Voices of Harlem bei. Unterstützt von Paul Zauners Blues Brass feierten die drei Vokalisten die hohe Kunst des Jazz-Gesangs zu den betont sinnlichen Rhythmen des Soul-Jazz.

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Ein kleines Detail am Rande führt uns weiter. vor zwei Jahren waren auf dem Jazz Fest nahezu ausschließlich Bass-Gitarristen mit neuerdings fünfsaitigen Bässen zu erleben. Keiner davon hat es bis in dieses Jahr geschafft. Stattdessen aber feierte die gute alte Gitarre ein Comeback. Bryan Ferry und Marianne Faithfull verzichteten auf größere Bandbesetzungen und überzeugten mit einem durch harsche Gitarrensounds klar rockig-bluesig definierten Sound. Und natürlich war die Gitarre auf allen Blues-Konzerten zu finden, und von diesen gab es heuer mehr denn je. Blues und Soul mitsamt ihrer Heilsbotschaft waren zu hören, und keiner der Blueser und Soulisten enttäuschten. Dr. John aus New Orleans, für viele Experten der Tipp des Festivals, bot ein grundsolides Konzert in der für ihn typischen Art, Bettye LaVette und die Blind Boys Of Alabama zeigten die Wunde des Seelenschmerzes und die Heilkraft des Glaubens, Charles Bradley, der Soulist, der erst im reifen Alter ein Sensationsdebut hinlegte, begeisterte auf dem Rathausplatz ein überraschend großes Publikum. Da die Geschichte des Gitarrenspiels nicht beim Blues endet, war es nur logisch, dass es gegen Ende des Festivals mit der Black Country Communion noch einmal laut und heftig wurde. Hardrock als logische Konsequenz des Blues? Das Schöne war, dass mit Mike Stern, Earl Klugh und Al DiMeola auch die Vertreter leiser, weltmusikalisch oder Jazzrock orientierter Saitenkunst auftraten und die Vielfalt der musikalischen Möglichkeiten dieses Instruments aufzeigten.

Allemal durfte viel gefeiert werden. Um ehrlich zu sein, gab es einen Jahrgang, bei dem im Publikum eine so gute Stimmung herrschte wie in diesem Jahr? Mit dem Bahama Soul Club und Sergio Mendes fing es groovend und im Latin-Sound an der Fernwärme an. Mit Trombone Shorty, Seun Kuti, Seal und den Blind Boys wurden Grenzbereiche der Ekstase gestreift, die Soulbop Special Edition ließ den Schweiß bei Funk und Jazz im Porgy & Bess in Strömen fließen, und selbst wer sich nicht körperlich abreagieren wollte, erhielt beim Auftritt von Ben Sidran eine Lektion in Sachen Bob Dylan, Songwriter-Kunst und der humorvollen, geistreichen Moderation eines vollendet durchdachten Konzertes. Ben Sidrans Konzert, eines von mehreren der Singer/Songwriter-Schiene, auf der Madeleine Peyroux, William Fitzsimmons, Soe und Richard Thompson auftraten, gehörte mit zu den denkwürdigsten des Festivals. Denn es machte Spaß, im Publikum zu sitzen, sich über die Späße von Sidran auszutauschen und zu wissen, dass man unter seinesgleichen sitzt und eine Gemeinschaft der Verstehenden bildet.
Bei einigen Konzerten war diese Gemeinschaft leider kleiner als erhofft, bei anderen größer als erwartet. Allemal war die Stimmung aber freundlich, ob nun beim eher unverdienterweise wenig besuchten Seun Kuti oder unter den überraschend vielen Gästen der bösen Krachbuben der Black Country Communion. Immerhin, es bleibt der Glauben an die Kernkompetenz des Publikums.

Schön war es, wenn sich während einigen Konzerten wildfremde Menschen vor Freude und Begeisterung in den Armen lagen oder zumindest über die Musik fachsimpelten. Ob diese Gefühlswallungen Ergebnis des Auftritts der asiatischen Gäste war, vor allem von Dwiki Dharmawans World Peace Ensemble, ist natürlich keine Frage, die ernst zu nehmen ist. Aber sie weist in die richtige Richtung: eine kluge Programmplanung kann viel dafür tun, dass Musik nicht als Lärmbelästigung empfunden wird. Man muss nicht verbiestert und verärgert mit hängenden Mundwinkeln und Schultern aus dem Konzert gehen. Ja, ein Lachen auf dem Gesicht ist machbar! Nein, Jazz muss nicht wehtun. Im Gegenteil, „Music is a healing force“, wie die Jazzer wissen. Genau so wird aus einer Musik der Stoff, der Mut zum Überleben macht. That’s life, – that’s jazz!
Und im nächsten Jahr hören wir weiter. Denn nach dem Jazz Fest Wien ist vor dem Jazz Fest Wien.
(Harald Justin)

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