impulse
Reviews

Ben Sidran 28.6.2011

Ben-Tzi Droan erfindet Dylan

Nachdem das Jazz Fest Wien im Zeichen des Blutmondes eröffnet wurde, erlebte es bereits mindestens einen Höhepunkt. Und zwar am gestrigen Abend mit dem Konzert von Ben Sidran. Der wiederum stand im Zeichen von Bob Dylan.

Die Erinnerung an das Eröffnungskonzert mit Marianne Faithfull steckt mir noch in den Knochen. Nicht, weil ich sie mir, wie angeblich Rolling Stone und Dylan-Freund Ronnie Wood aufgebohrt habe, um nach stimmungsvollen Konzerten mehr trinken zu können, sondern weil besorgte LeserInnen mich zu dem blutroten Getränk befragten, dass mir nach dem Konzert kredenzt wurde. „Glückwunsch zu dem guten Rotwein“, schrieb ein wohlgesonnener Mensch, „Welcher war es denn?“ Ein anderer schloss messerscharf, dass ich mir wohl, stilgerecht zum Konzert mit Marianne F. sicherlich eine Bloody Mary gegönnt habe. Die gibt es allerdings nicht in Flaschen, die wird ins Glas gemixt. Soviel Liebe zum Detail muss schon sein! Tatsächlich aber handelte es sich um ein Getränk, dessen rote Farbe sich pro Flasche ca. 15. 000 eingearbeiteten Cochenilleschildblattläusen verdanken soll! So etwas trinken nur Nicht-Vegetarier, Genießer und Gentlemen.

Zwei davon, Genießer und Gentleman, passen gut in eine Person, etwa in Ben Sidran. Der amerikanische Gentleman und Genießer, Pianist und Sänger, Autor und Moderator mit mehr Talent als es für einen Menschen bedarf, sitzt am späten Nachmittag schräg gegenüber dem Porgy & Bess im Kreis seiner Band. Er schlürft, wahrscheinlich ausnahmsweise, genüsslich keinen Läusekiller-Aperitif, sondern einen guten Rotwein. Nach einer langen Tour ist er endlich auch in Wien gelandet. Vor fünfzehn Jahren war er zuletzt hier, sagte er, und der Himmel an diesem Dienstag, dem 28. Juni, sei so blau, dass es niemand interessieren würde, ob er woanders noch blauer wäre. „Wonderful to be here!”

Kurze Zeit später sitzen wir beim Soundcheck unten im Porgy & Bess. Der grandiose Tenorsaxofonist Bob Rockwell bläst ins Horn, Ben Sidran setzt sich an den Flügel der Marke Fazioli, ist begeistert vom Klang. „Gotta Serve Sombody“, den Dylan-Titel singt er schon einmal zum Einstimmen. Toll – aber auch nur, weil jetzt noch nicht zu erahnen ist, dass Sidran diesen Song im Konzert später in einer noch besseren, stimmungsvollen zehn Minuten langen Version bringen wird, während der er klug mit einer gesprochene Einleitung auf den gesungenen Höhepunkt des Stückes hinsteuert.

Alle Stücke an diesem Album folgen diesem Kunstgriff. Sidran, dessen Name von Umstehenden allen englischen Ausspracheregeln zum Trotz flott als „Ben-Tzi Droan“ eingewienert wird, weiß um die Kunst der Kommunikation mit seinem Publikum. Mit seinen Geschichten, tief aus der Schublade des menschlichen Lebens gezogen, immer mit Ironie und Humor und entlang des pulsierenden Beats der Band erzählt, packt er das Publikum am Aufmerksamkeitszipfel, um es dann vollends zu ergreifen, wenn er zusammen mit allen Anwesenden den sicheren Hafen dylanesker Songkunst erreicht.

Über den packenden Groove, die Songs und die Stories lässt sich leicht vergessen, dass diese Kunst Sidrans Teil eines wohl durchdachten politisch-musikalischen Konzepts ist. In Black Talk, seinem in den siebziger Jahren erschienenen Klassiker der Jazz-Geschichtsschreibung, hat er genau beschrieben, wie die Wahrnehmung der Welt wiederum die Welt verändert, wie die Wahl der Kommunikationsmedien, sei es Sprache, sei es Schrift, sei es Musik oder Literatur, ganz unterschiedliche Kulturen begünstige. Als Musiker, der sich der Blues- und Jazztradition zugehörig fühlt, weiß er, was hier zählt: die Kommunikation mit den Zuhörern, die Erreichung eines wissenden Einverständnis mit ihnen, die Herstellung einer Gemeinschaft, die mit einem zufriedenen Lächeln nach dem Konzert nach Hause fährt und mit neuen Kräften am nächsten Tag den Kampf gegen die Tücken des Alltag bestehen kann. Der Blick in die Gesichter der Anwesenden zeigt: die Übung ist Ben-Tzi Droan gelungen. Der Mann lebt und spielt den „Black Talk“.

Ob sein Buch heute noch relevant sei? „Da gibt es viele Antworten. Natürlich, weil es immer noch eines der ganz wenigen Bücher zu diesem Thema ist. Andererseits hat sich seit dem Erscheinen unheimlich viel verändert. Die neue Technologie hat viel verändert, das ganze Musikgeschäft wurde umgekrempelt. Als ich das Buch schrieb, gab es noch eine schwarze und eine weiße Kultur. Heute gibt es nur noch eine amerikanische Geschäftskultur. Jazz ist ein Highclass-Modeprodukt geworden. Es gibt ‚Jazz’- Parfums. Gleichzeitig gibt es in den Schulen viel Jazz-Unterricht. Das gab es früher nicht. Leider wird aber Bildung von vielen Afroamerikanern als Sache des weißen Mannes abgelehnt. It’s terrible and silly.”

Wozu zählt er sich denn heute? Zur Highclass-Jazzszene? Ben-Tzi Droan lacht. „Ach, ich bin eher ein One-Person-Movement.“ „Just like …Bob Dylan?“ Sidran, der die Anspielung auf mindestens zwei mit diesen Worten beginnende Dylan-Songs erkennt, ist natürlich ein Connaisseur des Dylan’schen Oevres: “Ich bin mit seinen Songs aufgewachsen. In den letzten Jahren hatte ich immer einige Titel von ihm im Programm. Das kam bei den Leuten gut an. Viele meinten, dass sie erstmals durch meine Performance einen Bezug zu den Texten bekämen. Anderen gefielen jetzt erst die Melodien. So kam es dann zu einem ganzen Album mit Dylan-Songs. Gewissermaßen habe ich die Songs wieder neuerfunden.“ Lachfalten kurven das Gesicht des Ben-Tzi Droan.
Die Frage meinerseits bleibt nicht aus: „So wie sich Bob Dylan immer wieder neu erfindet?“
„Bob Dylan ist die beste Erfindung, die Robert Allen Zimmerman je gemacht hat!“

Allein, mit Bob Dylan hat Ben-Tzi Droan nie über sein Dylan-Projekt gesprochen. Glücklicherweise erwartet His Bobness mich zu Hause. „Kurze Unterbrechung meiner ‚Never Ending Tour’“, raspelt er mir ins Ohr. Masked and anonymous hat er den Weg in mein Basement gefunden. Der Aufforderung „One More Cup of Coffee“ wird schnell entsprochen. „The Times They Are A-Changing“, singen wir gemeinsam so lange, bis es sogar den Morgen graust und wir rund um den Wachtturm barfüssige Diener sehen und Kojoten schreien hören.
„Jetzt habe ich aber den Kaffee auf“, sagt mein krausköpfiger Freund.
„Was war denn da drin? Ich habe immer das Gefühl, dass Geschäftemacher meinen Wein trinken!“
„Nicht nur deinen Wein, Bob. Hier unter uns ist gar mancher, der meint, das Leben ist ein Witz. Doch du und ich, wir kennen das, und unser Schicksal ist das nicht. Drum lass uns hier nicht schwadronieren, es ist spät, schon schwindet das
Licht.”
„Bursche, du zitierst mich!“
„Gib a Ruah, Bob, dann verrate ich dir auch, auf welches Konzert ich am Freitag gehe!“
„Etwa …?“
„Pssst!“

(Harald Justin)