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Classix / Corey Harris

Greens From The Garden

Musik weiß immer schon alle Antworten auf alle Fragen des Lebens. Weshalb es denn auch sogenannte „klassische Alben“ gibt. Alben, die die Problemlösungen von morgen visionär vorweg nehmen…

…und die Problemlagen von gestern als erledigt erkennen lassen. Alle mögen diese Klassiker, aber wer kennt sie alle, diese Klassiker? Abhilfe gefällig? Zur freundlichen Empfehlung diesmal die definitive… Gemüseplatte!

Ab und zu muss ein Mann tun, was er tun muss und in die saure Gurke beißen, heißt sie nun Käsekrainer oder Salami. Jeder bekommt halt die Gurke, die er verdient. Was in Zeiten des bakteriologischen Befalls von Gurken, Paradeisern und Sprotten aller Art die Frage erzwingt: wie hält es das Gemüse mit der Musik, was halten die Musiker eigentlich von den Vitaminbomben aus Mutters Erde?

Gurkenlieder mag es zwar viele geben, aber wie viele erklingen zur Verehrung der grünen Stangenfrucht? Die Verballhornung von Dave Brubecks Titel „Blue Rondo à la Gurk“ kann nicht wirklich gelten. Ansonsten halten sich nämlich die urbanen Jazz-Hipster und Soul-Funkster eher vornehm mit Lob zurück, wenn es um die Erzeugnisse harter bäuerlicher Arbeit geht. Chic geht vor Schweiß.

Egal, ob es sich um Gurken oder Kürbisse, Kukuruz oder Melanzani handelt, vitaminscheu scheint sich der Jazzer eher mit anderen Genussmitteln gegen den Nagezahn des Alltags zu imprägnieren. Kein Wunder, wer den A-Train nimmt, um round midnight bei irgendeiner Ruby, Naima oder Miss Betty zu sein, mag zwar ein Nachtschattengewächs besonderer Art sein, dürfte aber für Gartengemüse wenig übrig haben. Gegenüber dem vielbesungenen Reefer-Man hat der Gemüsehändler selbst mit Prachtgurken keine Chance.

Wer die Geschichte des Jazz und Blues Revue passieren lässt, wird unzählige Trunklieder zu Ehren von „one bourbon, one scotch, one beer“ finden. Fleischlichen Genüssen wird ebenfalls gehuldigt. Nach mehrmaligen Umhören wird der Suchende auch alle möglichen Slang-Ausdrücke für das Rauchen verbotener Stoffe kennen. Wer am Ende des Abends dann die Rechnung aufmacht, wird unter 10.000 Liebes- und Sex-, 1000 Kiffer-und 5000 Suff-Songs auf nur eine einsame Zwiebel stoßen. Sidney Bechet widmete den zu Tränen anrührenden Schichtgemüse einst ein Lied, „Les oignons“. Die Soulisten Booker T. & The MGs erdeten mit „Green Onions“ nach, der Piano Professor aus New Orleans, Professor Longhair, lobte den „Red Rice“, Duke Pearson heizte sich mit „Chili Peppers“ ein, und Joe Zawinul hatte den „Erdäpfel Blues“- Kein Wunder, wenn man sich die magere Gemüseernte im Blues und Jazz anhört.

Corey Harris – Greens From The Garden

Dann aber kam Corey Harris. Der 1969 geborene Afroamerikaner ist ein studierter Anthropologe, den seine Feldstudien bis nach Kamerun führten. Seinem Verständnis vom Blues und dem Leben schlechthin muss das genützt haben. 1999 erschien eines seiner besten Alben, in dem kein einziger Song einen Gemüsenamen im Titel trägt. Trotzdem heißt das Album Greens From The Garden. Es ist wahrscheinlich das grünste Album aller Zeiten, ein Konzeptalbum noch dazu. Wie kommt’s? Mit akustischer und elektrischer Gitarre, zur Begleitung von Violine, Piano, einem einsamen Saxofon und Drums, singt Harris seine Mixtur aus Blues und frühem Jazz. Eingeblendet zwischen den einzelnen Songs finden sich Gesprächsfetzen, denen das Lob für die einfache Gartenkost, einzelne Kochempfehlungen oder gar nur Gelächter zu entnehmen ist. Machen Paradeiser high?

Das Innencover zeigt den bekennenden Kiffer und Vegetarier jedenfalls inmitten eines grünen Paradies stehend. Musikalisch skizziert er in groben Zügen den Weg der afrikanischen Sklaven, weg von ihrer Mutter Erde, in die westliche Zivilisation zu den Sklavenmärkten auf dem Congo Square in New Orleans. Der Weg zur Befreiung führt über den Tod und die Wiedergeburt im mythisch-magischen Unterweltsort Diddy Wah Diddy. Das ist eine klare Ansage: Von unten kommt die Kraft, dort wächst, was die Kleinen groß und stark macht. Wenn also das Fleisch den Weg allen Fleisches nimmt und sich wieder in den Naturkreislauf eingliedert, aus Toten eine Sonnenblume spießt, offenbart sich das Prinzip allen Lebens: die Natur ist stärker als alle Zivilisationsmächte. Die Früchte des Paradieses, die Greens from the Garden, werden den Sieg über das babylonische Böse naturgemäß erringen.

Bei alldem war dieses Album keine Anleitung für Biobauern, sondern ein kulturpolitisches Plädoyer für eine Kultur, die von unten kommt und sich nicht von industriellen Moden vereinnahmen lässt. Genau diese Musik, genährt aus dem Bodensatz von Blues, Reggae und Jazz, hat Harris auf diesem Album voll des kultivierten Wildwuchses zelebriert. Die Gemüseplatte schlechthin. Darauf eine Gurke!
(Harald Justin)

Corey Harris
Greens From The Garden (1999)

Alligator ALCD 4864