IMPULSE!
Soundtrack einer Generation
Produzent Creed Taylor und Jazz-Historiker Ashley Kahn feiern auf einer Lesereise den 50. Geburtstag von Impulse!. Mehr als eine Generation Hörer verdankt dem amerikanischen Jazz-Label den Soundtrack zur Identitätsfindung im Zeichen von kommerziellem Kalkül, Spiritualität und Rebellion. Impulse von Impulse!? Aber sicher doch!
Kann man mit einem Jazz-Label Musikgeschichte schreiben? Creed Taylor hat vorgemacht, wie es gehen könnte, damals vor fünfzig Jahren.1961 gründete er Impulse!, das Jazz-Label, das für die sechziger Jahre das werden sollte, was Blue Note oder Atlantic Records für die Fifties waren: tonangebend! Mit Altmeistern wie Duke Ellington, Coleman Hawkins oder Benny Carter, vor allem aber mit dem Bannerträger des modernen Jazz, mit John Coltrane, avancierte das Label zum wichtigsten Umschlagplatz des Jazz in den sechziger Jahren.
Unter dem Motto „The New Wave of Jazz“ brannte sich die Musik des Labels in Hirne und Herzen. Charles Mingus, Pharoah Sanders, Sonny Rollins, Archie Shepp waren mit dabei, all die zornigen jungen Männer begeisterten mit brennender Intensität eine Generation von Hörern, die den Aufstand probte. Der Soundtrack der Rebellion kam in schwerem Vinyl und aufwendig gestalteten Klapphüllen mit orang-schwarzem Design daher. Très chic, auffällig und, weil es dem guten Geschmack dient, etwas teurer als die normalen Lps.
Keine Frage, vom geclickten Download waren die Impulse!-Produktionen so weit entfernt wie der Mars von der Erde. Auf ihr genießt Creed Taylor sein glücklicherweise langes Leben. Und er feiert sich und Impulse! mit einem Buch zur Geschichte des Labels und einer Lesereise, auf der ihn Ashley Kahn begleitet. Kahn ist Autor bemerkenswerter Jazz-Bücher. Über die Entstehung von Miles Davis’ Meisterwerk Kind of Blue hat er ebenso eine Monografie geschrieben wie über die Entstehung von John Coltranes A Love Supreme. Sein Buch mit dem doppeldeutigen Titel Impulse! Das Label, das Coltrane erschuf (2006/dt. 2007) gilt bereits als Klassiker der Jazzgeschichtsschreibung und liest sich spannend wie ein Krimi. Zumindest wie ein Wirtschaftskrimi, der den Mythos von Impulse! zu entzaubern hilft.
Jazz, neu erfunden!
Wenn Impulse! eine Idee aus dem Kopf von Creed Taylor war, dann konnte er sie als 31 jähriger Produzent bei ABC-Paramount Records wahr werden lassen. Denn der Medienkonzern wollte endlich auch einmal mit Jazz Geld verdienen. Und Creed Taylor hatte das Konzept fürs Geldverdienen. Der Trompeter hatte bereits Alben wie College Drinking Songs oder Hi Fi In An Oriental Garden produziert, weil er eine Marktlücke für diese Art von Musiken entdeckt hatte.
Geschäftstüchtig wie er war, sah der Jazz-Liebhaber Taylor aber auch, dass von der Massenbegeisterung für den Swing Mitte der fünfziger Jahre wenig übrig geblieben war. Jazz war zu einer Musik für eine kleine, kaum radikale Minderheit geworden. Schuldig war, so schreibt Taylor, das eigene Lager: „Ich mochte insbesondere die Produktionen Jazz At The Philharmonic von Norman Granz nicht. Die Soli waren viel zu lang. Da spielten Riesentalente, aber sie missachteten das Publikum und seine Aufmerksamkeitsspanne. In diesem Moment beschloss ich, selber zu produzieren.“
Sein Ziel war klar: Jazz im Hochpreissegment, mit auffälligen Covern und einer Musik, die sorgfältig produziert, klare melodische Formen und straffe Strukturen besaß. Das Kalkül zahlte sich augenblicklich aus: die ersten sechs Alben, die Taylor für Impulse! 1961 produzierte, waren große kommerzielle Erfolge. Impulse! hatte sich mit fetten schwarzen Zahlen auf die Landkarte der wichtigsten Label Amerikas gesetzt. (Alle sechs Alben, von Ray Charles Genius + Soul = Jazz , Gil Evans Out Of The Cool bis John Coltranes Africa/Brass gelten heute als Klassiker und sind in Creed Taylors Erinnerungsbuch First Impulse! The Creed Taylor Collection. 50th Anniversary enthalten.) Nach nur sechs Alben und einem Jahr verließ Taylor Impulse!. Schließlich hatte er Besseres zu tun: beim Verve-Label galt es, die kommerziell noch erfolgreichere Verbindung von Jazz und Samba herbeizuführen. Das “Girl from Ipanema” wollten alle haben, noch mehr Jazz-Fans und das Pop-Publikum.
Bei Impulse! übernahm Bob Thiele den Chefsessel und machte das Label noch größer. Gewichtiger. Lauter. Kämpferischer. Spiritueller. John Coltrane spielte sich frei.
Coltrane für Träumer
Über die folgenden Jahre hat niemand so einen präzisen überblick wie Ashley Kahn, Chronist des Labels. Als bloße knochentrockene Übung in Sachen Jazz-Geschichte will der knuffig und agil wirkende Autor sein Werk aber nicht verstanden wissen. Da brennt schon eine Portion Leidenschaft mit: „Mein Vater kommt aus Südafrika, meine Mutter aus Israel. Ich wuchs in der Bronx auf, zog dann irgendwo nach Cincinnati. Die absolute Einöde. Wer dort 1960 mit seinem Auto eine Bremsspur im Sand hinterließ, wird sie heute noch wiederfinden. Der Jazz öffnete mir die Welt. Mein Vater besaß diese 1961er Aufnahme Junior Mance Trio at the Village Vanguard. Diese LP hat mir wirklich den Weg in die neue Welt, nach New York, geebnet! Jazz bedeutete für mich immer eine Haltung der Offenheit!“
Mit dieser Haltung kommt man rum in der Welt, auch bis nach New York. Und wie hält es der 1960 geborene Autor selbst mit dem Jazz und John Coltrane? „Mein erstes Coltrane-Album war das 1958er Black Pearls. Das hat mich geprägt. Als ich A Love Supreme gehört hatte, stellte ich es erst einmal wieder weg. Erst später, so in den Zwanzigern, begann ich, es langsam wert zu schätzen.“ Und heute, was hört er? „Oh, ich arbeitete früher bei einem Radio-Sender in Nashville. Bluegrass-Music, großartig! Soul natürlich. Aber wenn es dann hart auf hart geht, am Samstagabend, am Sonntagmorgen, dann schaue ich mir all die großartigen Boxen an – und greife dann doch zu meiner alten Black Pearls-LP. Irgendwie kommt man immer wieder auf seine Anfänge zurück, oder?“
Bei soviel Wertschätzung für die eigene Vergangenheit und der erklärten Offenheit gegenüber dem Zukünftigen, bleibt noch die Frage übrig, wie viel Verklärung bei der ungeheuren Wertschätzung für Impulse! mitspielt? Schließlich hatte sich dieses Label einst dem Neurertum verschrieben, ist längst selbst aber Vergangenheit. Da kann man schon einmal ins Träumen geraten.
Impulse für eine bessere Welt
Denn was einst unter Creed Taylor als Markenkonzept ausgedacht war, wuchs sich im Laufe der sechziger Jahre zu einem Gesamtkunstwerk mit gesellschaftlichem Anspruch aus. Ashley Kahn erklärt die Geltung des Labels nicht zuletzt durch die Aufbruchstimmung der Dekade: „Allen Beteiligten war klar, dass eine neue Zeit anbrach. Alle wollten dabei sein, wenn es darum ging, etwas Neues zu schaffen! Und das betraf bei Impulse! nicht nur die Musik. Das Konzept war grundsätzlich neu, das fing beim Klapp-Cover, der orange-schwarzen Farbgestaltung auf dem Albumrücken und der Essays im Innenteil an und hörte bei der Suche nach den produktionstechnisch avanciertesten Sounds und Studios nicht auf!“
Ironie der Geschichte: ein Hochglanz-Upperclass-Produkt, jenseits aller Underground-Ästhetik, wurde zum Symbol aller Jazz-Freunde, die ihre Musik als Sprachrohr der Bürgerrechtsbewegung, des Anti-Vietnam-Krieges und des Protestes verstanden wissen wollten. Es gab Atlantic Records, Prestige, Blue Note,Verve. Aber es war Impulse!, von dem es schließlich heißen sollte, dass es wie kein anderes Label dem schwarzen Zorn ein Stimme gegeben habe! Der verkäufliche Protest?
Es gibt Widersprüche, die halt auszuhalten sind. Niemand verstand sich darauf besser als Bob Thiele, neben Creed Taylor, Ed Michel, Steve Backer und Esmond Edwards, der stilprägende Produzent des Hauses. Thiele war ein Veteran des Musikgeschäfts, und sein Horizont war umfassender als es die Bilanzen zuließen: „Die ganze Plattenindustrie an sich“, gab er zu Protokoll, „ist eine zwiespältige Sache, denn sie handelt nach Profitgesichtspunkten mit einer Ware, und dabei hat sie es doch mit Kunst zu tun, also nicht mit einer Ware, sondern mit etwas, das nicht zum Zweck des Profitmachens produziert wird. Ich wüsste nicht, wie sich das vereinbaren ließe, außer durch eine Revolution.“
Die Revolution fiel bekanntlich aus. Aber es war an Bob Thiele, den Widerspruch zwischen Kunst und Ware mit den Produkten seines Labels verschärft zu haben. Denn auf Impulse! wurde Coltrane zum Bannerträger des Protests.. Die Schreie und Kreischlaute seines Spiels erschienen als vollendeter Ausdruck der Empörung und des Zorns, aber auch der neuen Spiritualität jener Jahre. „In den Augen vieler verlieh er“, urteilt Kahn, „Impulse! damit eine politische Legitimität und spirituelle Aura, wie sie keine Werbeabteilung hätte herbeischreiben können.“
Mit A Love Supreme (1964) hatte Coltrane dem Label einen Klassiker geschenkt, der eine durchaus politisch zu denkende, spirituelle (Friedens-)Sehnsucht, künstlerische Größe und kommerzielle Attraktivität gleichermaßen verband. Das Album ist, bei aller Sperrigkeit, bis heute eines der meistverkauften des Jazz.
Eine bessere Welt?
Wobei das politische Engagement des Labels weder mit Coltrane begann, noch mit seinem Tod 1967 endete. Charles Mingus, Sonny Rollins, Albert Ayler, Sun Ra, Pharoah Sanders oder Alice Coltrane und Archie Shepp, all diese zornigen jungen und etwas älteren, immer noch zornigen Musiker gehörten irgendwann zur Impulse!-Family. Sie alle spielten das New Thing, jenen neuen, aufregenden Jazz, der seine Stimme inmitten der Bürgerrechtsbewegung, der Rassenunruhen und der Anti-Vietnam-Proteste erhob.
Dass in diesem Umfeld der junge Bassist Charlie Haden 1969 als Kommentar zur amerikanischen Bombardierung Kambodschas Lieder des spanischen Bürgerkriegs verjazzte, verwundert ebenso wenig wie sein Kommentar zur Musik seines Liberation Music Orchestras: „Die Musik auf dieser Platte ist der Schaffung einer besseren Welt gewidmet; einer Welt ohne Krieg und Mord, ohne Rassismus, ohne Armut und Ausbeutung; einer Welt, in der alle Regierenden die vitale Bedeutung des Lebens erkennen und danach streben, es zu schützen, anstatt es zu zerstören. Wir hoffen, einmal eine Gesellschaft voller Aufklärung und Weisheit zu erblicken, in der der kreative Gedanke die dominierende Kraft im Leben aller Menschen sein wird.“
Man liest und hört es: Wer in diesen Jahren der Unruhen Hand an die Musik legte, kam nicht umhin, von dem erhitzten Klima zu profitieren, finanziell oder künstlerisch. „Die sechziger Jahren geben einen prima Background für alle möglichen Geschichten ab“, sagt Ashley Kahn.
Allein, Hadens Liberation Music war nur mehr ein letzter Aufschrei. Als das Album Liberation Music Orchestra 1971 nach diversen Streitereinen endlich erschien, war Coltrane bereits tot, hatte Thiele das Label verlassen.
Wie beurteilt Kahn heute die Lage? Zuerst gibt er sich sehr diplomatisch. „Ich finde, Musik und Politik haben nicht unbedingt etwas miteinander zu tun.“ Auf die irritierte Nachfrage, wie man ein Buch über ein Label in den wilden sechziger Jahren schreiben und die Politik außen vor lassen könne, reagiert er mit einer etwas ausführlicheren Auskunft: „Also für mich, das ist jetzt aber meine ganz persönliche Ansicht, hat Jazz und mein Interesse am Jazz etwas mit Offenheit, Neugier, einer Unabhängigkeit des Denkens und einer Liebe zur Wahrheit zu tun!“ Nimmt das nicht jeder Musikliebhaber irgendwie in Anspruch – und sind nicht auch unter Jazzern einige zu finden, die recht wenig offen und neugierig sind? Kahn lacht und rutscht auf seinem Stuhl hin und her. „Na ja, ich glaube, wer Coltrane richtig verstanden hat, seine Musik und seinen spirituellen Ansatz, der ist für Frieden. Vom Rest einmal ganz zu schweigen!“ Yep, verstanden!
Mehr Impulse!
In der Post-Coltrane-Ära geriet Impulse! peu à peu in den Strudel kommerzieller Transaktionen. Bis heute zehrt es vor allem von dem Ruf, den Coltrane und in seinem Gefolge seine Frau Alice Coltrane, Albert Ayler, Pharoah Sanders und Archie Shepp ihm erspielten. Nicht, dass nicht immer wieder musikalisch anregende Werke entstanden. Aber die Musik der neuen Generation von Impulse!-Künstlern wie Gato Barbieri und Keith Jarrett gehörte nicht zu jener Klasse, mit denen sich Diskurse um den afroamerikanischen Jazz, Spiritualität und Black Power weiterführen ließ. Was möglicherweise auch daran lag, dass diese Diskurse ihre Schwungkraft in Amerika Ende der Sechziger an Bedeutung verloren hatten.
Was bleibt von den wilden Jahren? Ein Schatz an Musik, eine Menge überragender LPs/CDs, eine Haltung? Hallo? Als ob das nichts wäre! Es soll Generationen gegeben haben, die der Nachwelt weniger oder gar Schlimmeres hinterlassen haben.
Und alles fing damit an, dass zwei Männer sagten „I have a dream!“ Martin Luther King heißt der eine, Creed Taylor der andere. Sein Traum, aus Jazz ein Highclass-Produkt zu machen, ist ebenso wenig ausgeträumt wie der Martin Luther Kings. Impulse! wirkt nach, Impulse gebend für das Leben nach dem Traum.
(Harald Justin)
Treffen Creed Taylor und Ashley Kahn sind auf Einladung von Universal Österreich am 13. Juli 2011 im Porgy & Bess (Wien). Für den musikalischen Rahmen sorgt DJ Samir.
Hören und Lesen First Impulse: The Creed Taylor Collection 50th Anniversary, Limited Edition mit 77 Textseiten mit vier CDs (Universal)
Weiterhören Various Artists: The Look Of Love – Compiled by Samir H. Köck (Universal)
Lesen Ashley Kahn: Impulse!! Das Label, das Coltrane erschuf, Berlin 2007, Rogner & Bernhard (Zweitausendeins)
Weiterlesen Ashley Kahn: Kind of Blue. Die Entstehung eines Meisterwerks, Hamburg 2002, Rogner & Bernhard (Zweitausendeins)
Weiterlesen Ashley Kahn: A Love Supreme. John Coltranes legendäres Album, Frankfurt/M. 2004 , Rogner & Bernhard (Zweitausendeins)
Weiterlesen Valerie Wilmer: Coltrane und die Jungen Wilden – Die Entstehung des New Jazz, Höfen 2001, Hannibal Verlag