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Gumbo mit Oop Pooh Pah Doo

Dr. John | Trombone Shorty

Das Jazz Fest Wien hat gerufen und der Ruf wurde in New Orleans vernommen: mit Dr. John und Trombone Shorty kommen ein legendärer und ein junger Vertreter einer der wichtigsten Jazz- und Blues-Metropolen der Welt nach Wien.

Dr. John (c: demaria productions)

„What does it means to miss New Orleans?” Diese in Anlehnung an einen bekannten Jazz-Schlager entstandene Frage müsste man Dr. John und Trombone Shorty wohl zuallererst stellen, wenn sie am 7. Juli im Arkadenhof des Rathauses ihre Heimatstadt musikalisch mit einer deftigen Mischung aus Blues, Soul, Funk und Jazz vertreten. Umgekehrt könnten der angereiste New Orleans-Trupp natürlich auch fragen, was die Wiener von der Stadt wissen, die eine der Geburtsstätten des Jazz ist.

Trombone Shorty (c: Kirk Edwards)

Wer also je die Gelegenheit hat, mit dem Exil-New Yorker Dr. John oder Trombone Shorty in ein Gespräch über die Stadt am Fluss zu geraten, sollte wissen, dass …

1 … New Orleans und Louis Armstrong sowenig voneinander zu trennen sind wie der Trompeter von seinem täglich eingenommenen Abführmittel „Sweet Kriss“. Noch schlimmer: alle seine Freunde wurde ebenfalls zu „Sweet Kriss“ zwangsverpflichtet. Bei einem seiner Freunde, der das vermeintliche Allheilmittel zuerst an seiner unwissenden Ehefrau ausführte, beschwor Armstrongs Tipp eine ernsthafte Ehekrise aus.

2 … Armstrong einst vor König Georg V. auftrat und ein Stück mit den Worten ankündigte: „Diese Stück ist für Sie, König!“ Dann spielte er „I’ll be glad when your are dead, rascal, you!” Ob der King amused war, ist nicht überliefert.

3 … das Lieblingsgericht von Louis Armstrong Rote Bohnen mit Reis waren? Dr. John schwört hingegen vor allem auf Gumbo, diesen Supereintopf aus Würstchen, Huhn, Pfeffer und Pfeffer, Cayenne und Chili, Chili und Zwiebeln, Pfeffer und allerlei scharfen Gewürzen? Jede Familie sollte ihr eigenes Gumbo-Rezept haben, und in früheren Zeiten reiste Dr. John nie nach New York, ohne einen gewaltigen Vorrat von Gumbos im Gepäck zu haben, gekocht nach dem Rezept seiner Großmutter, die übrigens auch, so erzählte er, Tische zum Fliegen bringen konnte, die alte Voodoo-Lady.

4 … Mac Rebenack , der als Zauberdoktor Dr. John und mit viel Voodoo-Beschwörungen Karriere machte, noch auf seinem 1989er Erfolgsalbum In A Sentimental Mood mit einem offiziell „Conjurerstick“ genannten Zauberstab auf dem Cover posierte? Der war übrigens von Charles Neville geschnitzt, der mit seinen Neville Brothers auch schon Gast auf dem Jazz Fest Wien war. Komisch, genau dieses Album mit dem „Conjurerstick“ war das erfolgreichste in der Karriere von Dr. John. Wirkt wohl.

5 … New Orleans die Stadt mit der größten Dichte an musikalischen Familienclans sein dürfte. Der Marsalis-Clan mit dem Piano spielenden Vater und den zwei Brüdern Wynton und Branford, die Neville Brothers mit ihren Kindern, die selbst schon wieder bekannte Musiker sind, oder nun Trombone Shorty. Sein Großvater Jesse Hill komponierte den R&B-Klassiker aus den sechziger Jahren „Ooh Poo Pah Doo“, sein Bruder James Andrews leitete die die nach ihm benannte Brass Band. The family that plays together, stays together?

6 … dass James Andrews, Trombone Shortys Bruder, auf die Frage nach seinem Lieblingsgericht noch in diesem Jahr antwortete: „Das Gumbo von meiner Großmutter mit Roten Bohnen und Reis.“ Seine Lieblingsband ist übrigens: Dr. John and the Lower 911 Band. Warum: „Dr. John bringt den Old School –R&B wieder ins Leben zurück!“ Zeiten ändern sich, guter Geschmack bleibt.

7 … Trombone Shorty, Dr. John und zahlreiche andere Stars wie Steve Earle, Elvis Costello, Allen Toussaint u.a. Gastauftritte in der neuen amerikanischen TV-Serie über das Treme-Viertel hatten, die sich mit großem Erfolg den Ereignissen um eines der bekanntesten afroamerikanischen Viertel in New Orleans annimmt?

8 … einer der Musik-Ikonen dieser Stadt, Professor Longhair, sich und seine Band in den vierziger Jahren mit dem bizarren Namen „The Shuffling Hungarians“ bekannt zu machen versuchte? Merkwürdigerweise blieb seine Musik in Ungarn weitestgehend ungehört. Andererseits wirbt eine internationale Reifenfima zur Winterszeit immer noch mit einem Jingle, auf dem Professor . Longhairs Gesang und Gepfeife zu hören ist. Ungarn, Ohren spitzen!

9 … keine Stadt der Welt so viele Songs mit Unsinnssilben hervorgebracht hat. Von „Ooh Poo Pah Doo“ über die „Kooba kooba kooba“-Rufe von Huey Piano Smith bis hin zu „Iko Iko“ von den Dixie Cups, die Sprache wird verdreht, der Sinn mit ihr, und weiß eigentlich irgendjemand Genaueres über die Beziehung zwischen der R&B-Szene aus New Orleans und Ernst Jandl?

10 … sich das Wort „Gumbo“ von einem Bantu-Wort ableitet, das in verschiedenen Überlieferungen in die englische Sprache eingegangen ist: „Gombo“, „Kinombo“ oder „Ngumbo“ bedeutet so viel wie „Okra“ und bezeichnet eine Suppe, die mit gekochten Okra-Schoten zubereitet wird. Hin zum Nachmarkt und probieren!

11 … dass zwar die Aufbauarbeiten nach dem Hurrikan Katrina 2005 zwar voranschreiten, einige Teile der Stadt immer noch ein Trümmerfeld darstellen. Welche Stadtteile das wohl sind? Zu den Gebieten, die kaum oder wenig überflutet wurden, gehörten das French Quarter, der Garden District, Jefferson Parish, und Audubon, die allesamt einen bis zu 90% Anteil sozial gut gestellter und weißer Amerikaner als Bewohner haben. „Katrina zeigte die rassischen und sozialen Ungleichheiten im Leben der Nation, die zu lange beiseite geschoben worden waren, denn jene, die vom Sturm am härtesten getroffen wurden, waren die wenig begüterten Gesellschaftsmitglieder“, so ein offizieller Bericht. Und so etwas soll man nicht hören können in der Musik dieser Stadt?

Lust am Leben, Lust am Überleben mit Musik und Gumbo und etwas Magie!  Was Dr. John und Trombone Shorty dazu wohl zu sagen haben?
(Harald Justin)

Live Jazz Fest Wien: Dr. John | Trombone Shorty 7. Juli 2011, Rathaus/Arkadenhof
Hot stuff CD / Dr. John And The Lower 911: Tribal