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Himmelreich und Hühnchenhölle

Bettye LaVette

Soul-Diva Bettye Lavette kommt nach Hause. Sie hat schweres Gepäck dabei und weiß deshalb, was Frauen wollen und Männer brauchen.

Bettye LaVette (c: Carol Friedman)

New Jersey im Jahre 2005. Schwer bepackt kommt Bettye LaVette nach Hause und hat erst einmal keine Zeit. „Ich war shopping! Mit meiner Enkelin“, ruft die schwer atmende Soul-Sängerin und verschwindet sofort wieder. Kurz danach ist die 1946 in Muskegon, Michigan geborene Sängerin wieder zurück. „Ach, das war aber dringend! Ich musste ganz dringend auf ein gewisses Örtchen!“ Bettye LaVette ist offen und direkt, ein Blatt nimmt sie nicht vor den Mund.

Mit Hilfe des Produzenten Joe Henry, der mitverantwortlich für das mit Preisen ausgezeichnete 2002er Erfolgsalbum Don’t Give Up On Me von Solomon Burke war, hatte sie gerade das Album I’ve Got My Own Hell To Raise aufgenommen.
Wie die Arbeit mit Henry war? „Sehr erfrischend!“, antwortet sie und spricht mit einer Herzlichkeit und Offenheit weiter, die so typisch für diese grandiose Soul-Stylistin ist. „Joe Henry hatte den Mut, einmal etwas ganz Frisches auszuprobieren. Ich wollte diese Frische, und er hatte die entsprechenden jungen Musiker. Die Aufnahmen haben prima geklappt.“ Kannte sie Joe Henrys eigene Alben? Oder seine Arbeit für Solomon Burke? „Nein, aber mein Mann, der Schallplatten-Sammler und Archivar ist, der kannte seine Musik und hat sie mir dann vorgespielt. Gefällt mir schon. Und Solomon Burke kenne ich natürlich schon seit Jahren. Früher habe ich für ihn die Shows eröffnet. Auch ohne nach Kilos zu messen, ist er natürlich einer der Größten.“ Sie lacht einmal mehr.

Die zierlich wirkende Afroamerikanerin hat viel zu erzählen und zu singen. Weil sie ihr Leben gelebt hat. „Mittlerweile, mit meiner Erfahrung, weiß ich, was ich singen kann und was nicht. Und in dem, was ich singe, da steckt eine Menge Lebenserfahrung drin.“
Mit ihrer Stimme, irgendwo zwischen Aretha Franklin und Tina Turner, früher mit jugendlichem Timbre versehen, heute mit kratziger Intensität und von einem Schuss Alterweisheit gesegnet, erregt sie seit über vier Jahrzehnten Aufmerksamkeit und genießt unter Soul-Spezialisten Kultstatus. Dave Godin, hochgeschätzter Soul-Experte, schrieb sogar: „Streichen Sie Bettye Lavette aus der Geschichte der Soulmusik, und es würde eine Lücke entstehen, die niemand füllen könnte.“

Ihr eigenes Kapitel in den Annalen des Soul ersang sie sich ab 1962. Damals erschien ihre erste Single „My Man – He Is A Loving Man“. Da war sie 16 Jahre alt, tourte seit einiger Zeit mit der Truppe um Don Gradener und Dee Dee Ford, war verheiratet und hatte bereits seit zwei Jahren ein Kind.
Alle Jahre wieder konnte sie mit einem Hit nachlegen. Etwa. „Let Me Down Easy“ (1965) und 1969 das von mehreren Radiostationen wegen des Textes boykottierte „He Made A Woman Out Of Me“. „Your Turn To Cry“ leitete 1972 die siebziger Jahre ein, in denen Bettye Lavette zusammen mit Cab Calloway auf der Broadway-Bühne mit dem Musical Bubbling Brown Sugar große Erfolge feierte, auf die sie bis heute zu Recht stolz ist.

In diesen Jahren nahm sie auch einige, von Disco-Music inspirierte Alben auf. „Ja, zugegeben, ich habe auch einige schlechte Alben aufgenommen. Aber das passiert, wenn man nicht die vollständige Kontrolle hat. Heute weiß ich, was geht und was nicht! Aber höre dir einmal die Sachen an, bei denen ich das Sagen habe. Die sind wirklich gut!“
Tatsächlich hat sie, neben einigen unter Sammlern begehrten Singles, ästhetisch sublime Alben eingespielt: Tell Me A Lie, 1982 für Motown. Oder das begeisternde Live-Album Let It Down Easy – In Concert (2001). Und vor allem das vom einstigen Robert-Cray-Produzenten Dennis Walker produzierte A Woman Like Me (2003), das im SAN FRANCISCO CHRONICLE als das „beste Album, das Robert Cray nicht eingespielt hat“ gepriesen wurde. Lob und kein Wort des Tadels für die Sängerin mit ihrer unnachahmlichen Art der Phrasierung und Intonation.

Über ihren Kultstatus hat sie eine geteilte Meinung und lacht erstmals leicht gequält. Denn Kultstatus zu besitzen, bedeutet meistens, sich in der Sonne des Ruhmes sonnen zu dürfen, aber meistens die Rechnungen nicht bezahlen zu können. „Ja, das ist wohl wahr. Ich hatte halt auch eine Menge Pech. Schlechtes Management, falsches Timing. Und wahrscheinlich passte ich einfach nicht so recht zum schlagzeilenträchtigen Mainstream. Ich habe das Soul-Singen nicht in der Kirche erlernt. Drogenabhängig war ich auch nicht, habe niemals verarmt im Auto schlafen müssen. Ich war einfach zu normal. Zu selbstbewusst. Eine Sängerin ohne Skandale! Unglaublich, oder?“

Auf dem 2005er Album I’ve Got My Own Hell To Raise ist sie als Sängerin mit bislang so nicht gehörter Schärfe und Intonationssicherheit zu hören. „Ich bin heute als Sängerin sicher besser als vor einigen Jahren. Mein Wissen um das, was ich wie singen kann, ist einfach gewachsen.“ Und fügt dann hinzu: „Songs müssen doch eine gute Aussage haben, eine Geschichte erzählen. So Lalala-Songs, die wollte ich nie singen! Die Songs, die ich gerne singe, handeln sehr oft von einfachen Leuten, die sich behaupten müssen.“

Wohl in Kenntnis dieser Auffassung, versuchte Andy Kaulkin, Chef ihres damaligen  Labels Anti Records, ihr Songs nahe zulegen, die sämtlich von Frauen geschrieben wurden. „Hell no“, erzählt sie unter Lachen, „Zur Hölle nein“, sei ihre Antwort gewesen. “So etwas wollte ich auf gar keinen Fall machen. Viele Songs, die von Frauen geschrieben wurden, sind mir zu jammerhaft. Und Herumzujammern, das ist überhaupt nicht mein Stil. Mit „My-Man-done-me-Wrong“-Songs kann ich überhaupt nichts anfangen. So ein Typ soll es einmal wagen, mich zu betrügen, dann kann dieser Arsch allein zu Recht zu kommen versuchen. Ich bin dann weg! Ich bin eine stolze Frau und weiß, was ich kann.“ Wer es bislang noch nicht wusste, weiß es jetzt: sie ist eine starke Frau und nimmt kein Blatt vor den Mund.

Das war in New Jersey 2005. Wie stark sie ist, das konnte man ein Jahr später erleben. 2006 tourte sie durch Europa und trat als Überraschungsgast beim Jazzfest Wien auf. Wer sie vor der Kulisse des imposanten Wiener Rathauses sah, konnte nur staunen über das im schwarzen Cat-Suit herumspringende, quicklebendige Energiebündel.
Zwei Jahre später war sie wieder unterwegs, auch in Norwegen. Dort trat sie zusammen mit dem an Pfunden noch beleibter gewordenen Solomon Burke auf. Der Dicke und der Winzling, es muss grotesk gewesen sein. „Wir haben uns in Norwegen so laut und hemmungslos amüsiert, dass die Leute wohl jedes Mal froh waren, wenn wir wieder verschwanden. Aber Solomon sollte mehr auf sein Gewicht achten. Er hat definitiv einige Pfunde zu viel drauf.“

Als Solomon Burke dann einige Jahre später selbst im Rollstuhl zum Auftritt beim Jazz Fest Wien anrollte, ist es dieser Ratschlag, den ich ihm sofort mitteile.
Er hob den Zeigefinger und drohte lachend: Dann bestelle Bettye bitte zweierlei: sie soll aufhören, schmutzige Witze zu erzählen. Die machen mir Appetit. Außerdem soll sie nicht so fantastisch schmeckende Hühnchen braten. Da kann ich nie nein sagen. Sag es ihr!“
Tausend Hühnchentode später ist Solomon Burke im verdienten Himmelreich und Bettye LaVette zum dritten Mal Gast beim Jazz Fest Wien. Falls sie in Wien Zeit zum Einkaufen findet, sollte ihr jemand beim Tagen helfen. Auch eine starke Frau muss ja nicht alles allein machen.
(Harald Justin)

Live Jazz Fest Wien: Bettye LaVette | Blind Boys Of Alabama 9. Juli 2011, Rathaus/Arkadenhof
Hot stuff CD / Bettye LaVette: The British Rock Songbook