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Die letzte Superdiva!

Liza Minnelli

Mit dem Auftritt der Broadway-Diva Liza Minnelli endet das Jazz Fest Wien 2011. „Drama, Baby, Drama!”, möchte man rufen und gerne wissen: was macht eine Diva aus?

Liza Minnelli (c: Ruven Afanador)
Foto: Ruven Afanador

Wenn Liza Minnelli am Abend des 17.Juli auf die Bühne der Wiener Staatsoper tritt, wird sie auf ein erwartungsfroh gestimmtes Publikum treffen. Hits wie „Mein Herr“, „Money, Money“ oder „Caberet“ aus dem Musical und dem Film
Cabaret (1972) stehen ebenso auf der Wunschliste wie „New York, New York“ aus dem 1977er Film von Martin Scorsese. Sie wird schön singen, keine Frage. Liza Minelli wird eine emotional berührende Show darbieten, das lasst sich voraussagen. Das Publikum wird jeden Augenaufschlag begeistert feiern, und Liza Minnelli wird einen weiteren großen Triumph ihrer Karriere feiern. Alles in klarer Sichtweite. Sie wird uns zeigen, was eine Diva ausmacht.

Dazu gehört auch, dass sie die Medien vor der Tür lässt und sich einfach vor ihrem Auftritt Ruhe ausbedingt. Kein Presserummel, keine Marathon-Interviews mit immer den gleichen nichtigen Fragen. Das kann eine nur eine wahre Diva: die Beleidigtheiten einer Presse auszuhalten, wenn sie nicht gefüttert wird – und bereits diese daraus entstehende Nicht-Meldung als Eigenwerbung nutzen.

Sie kann so viel, die Diva. Nur eines kann sie nicht: uns, ihrem Publikum, erklären, was denn eigentlich eine Diva ausmacht, und warum Liza Minnelli die letzte der Diven ist, die unsereins noch zu sehen bekommt.

„Drama, Baby, Drama!“, auf diese griffige Kurzformel gehört das Leben einer Künstlerin schon gebracht, wenn sie als Diva weiterleben will. Wenn Millionen Kinder durch ihre Eltern unglücklich gemacht werden, dann wächst sich im Rückblick auf den Superstar nur diese eine Kindheit als eine wahre Unglücksgeschichte aus, die eine Diva gebiert. Zumindest da kann Liza Minnelli dank ihrer Mutter Judy Garland und ihrem Vater Vincente Minnelli, dank Rosenkrieg, Scheidung, neuer Muttereskapaden und Männerdummheiten und einer turbulenten Jugend inmitten des Showbiz mithalten.

Doch während Stars und Sternchen heute gerne mit Geschichten von trunksüchtigen Müttern und schlagenden Vätern hausieren gehen, wird eine Diva, die eine solche werden will, von solchen Jugenderlebnissen eher schemenhaft umgeben. Welche Schäden die Kinderseele nahm, wir ahnen, aber wissen es nicht. Schatten und Licht verteilen sich dann folglich auch auf die ersten eigenen, aber auch auf alle weiteren Schritte in Sachen Bühnenkarriere und Herzensangelegenheiten. Wo Glück und Scheitern im Beruf mitsamt einer gesunden Portion Liebeskummer ansonsten so zum Leben gehören wie der Spruch „Bein nächsten Mal mache ich alles besser!“, da wächst sich im Rückblick auf so ein richtiges Divenleben jedes Scheitern zu einer mittelprächtigen Weltuntergangskatastrophe aus. „Drama, Baby, Drama!“

Wir vermuten eine Spur Geheimnis hinter allem, was der werdenden Diva so passiert, ahnen aber wohl auch, dass diese Art der Geheimniskrämerei ein Kind der Traumindustrie Hollywoods in den zwanziger Jahren war, die einst auszog, Traumstars zu kreieren, deren Leben so blütenrein war, dass weder vorehelicher Sex, noch Affären, weder Drogen noch Verzweiflung den Heiligenschein der Idole beschmutzen sollten. Man redete nicht drüber, hieß es, und genau deshalb wurde sich hinterrücks so das Maul zerrissen, dass eine Unmenge von zweifelhaften Biografien erschienen, in denen das Privatleben der Star wieder und wieder vorgeführt wurde. Doch selbst die schonungslos offenste Biografie schien nicht befriedigen zu können. War da nicht doch noch etwas mehr?
Allein, Hollywood ist nicht mehr, was es einmal war.

Einst funktionierte die Doppelmoral noch: im voyeuristischen Blick durch das Schlafzimmerfenster auf die „letzten“ Geheimnisse, die danach keine mehr sein sollten, wurde dem Publikum mit wollüstigem Schauer gezeigt, wie man es bitte, bitte als Reicher und Schöner, und als Armer schon gar nicht, nicht zu machen habe.
Die derartige Literatur im Fall Liza Minelli ist ohne Ende, aber mit dem heutigen Starsystem, das keine Verschwiegenheit, sondern den größtmöglichen Einblick in das Privatleben gewähren will, kommt das auf einem Geheimnis aufbauende Diven-System an ihr Ende. Die einstige Aura des Stars verblasst. Andy Warhols Prognose vom Nobody, der es heute zum einige Minuten währenden Starruhm schafft, stimmt: der Star von heute wird niemals mehr eine Diva werden. Er hat kein Geheimnis mehr, er ist unser Nachbar zum Anfassen. Und natürlich unendlich langweilig.

Eine neuerliche Diven-Geburt wird durch die heutige Spaßgesellschaft endgültig verunmöglicht. Eine Diva wie Mae West mochte sich und das Publikum noch mit dem Witz über das in der Hose wohl vergessene Schlüsselbund ihres an sich gepressten Liebhabers erheitern, ihr Witz zielte auf die Verklemmtheit der damaligen Zeit. Wer mehr als ein halbes Jahrhundert später mit diesem Witz noch punkten will, macht sich selbst zum Spott aller, die die „sexuelle Revolution“ der Sechziger erlebt haben oder wenigstens den alltäglichen Mouseclick zum Porno-Wunderland ins Internet tätigen können.
Im Bestfall lacht man heute über eine Diva, die diesen Witz noch erzählt. Sie hat einen Bart bekommen, so wie dieser Witz.
Man lacht nicht mehr über die Gesellschaft und ihre Prüderie, die den Witz ermöglichte. Weshalb er als „tongue-in-cheek“-Gag heute in den letzten Bastionen des Diventums, in den Travestie-Shows, immer noch gern erzählt wird. Dort allerdings zu recht.

Es gibt keine Geheimnisse mehr. Was einst ein „längerer Erholungsaufenthalt“ war, über den hinter vorgehaltener Hand getuschelt wurde, ist heute eine an Fernsehanstalten aus aller Welt verkaufte Brustvergrößerungs-Operation vor laufender Kamera. Der trunksüchtige Star von heute gibt seine Einweisung in die Klinik vorher der Presse bekannt und torkelt auch gerne einmal noch durchs Bild. In Zeiten, wo die Polygamie der „Lebensabschnittgefährten“ längst die lebenslange Monogamie abgelöst hat, erscheinen die vielen Heiraten mitsamt der millionenschweren Scheidungen von Diven wie Elisabeth Taylor und Liza Minnelli längst als unsinnig verblödetes Relikt vergangener Zeiten, in denen Sex nur in der Ehe und nur als Mittel der „Ehehygiene“ erlaubt war. Wer heute noch „deshalb“ heiratet, muss die Klingel vom Escort-Service nicht gehört haben.
Wirkt es da als Entschuldigung, dass die Minnelli ihre Ehen durch ungeschicktes Seitenspringen ruinierte?

Wenn das heutige Starsystem keine Geheimnisse mehr kennt, dann bleibt natürlich noch die nur allzu menschliche Lust am Geheimnis. Wie schön also, dass es noch etwas über die alten Zeiten und deren Diven zu erzählen gibt. In der Vergangenheit gibt es immer noch viel zu entdecken und hinein zu geheimnissen. „Die Taylor“ und ihre Männer. Und ihre Alkoholprobleme. Huhu! „Die Minnelli“ – das allein klingt schon gut – und ihre Heiraten und ksonstigen Probleme. Grusel! Alles schon im neuen Zeitalter der alltäglichen Medienpräsenz  der Stars auch im Fall der Minnelli publikumswirksam ausgeleuchtet. Noch mehr Grusel! Die Abstürze und die Flops, und dann alle Jahre wieder ein Hit, ein Lichtschimmer am Horizont. War es nicht „Cabaret“, dann ein beim Publikum durchgefallener, dank der Titelsongs „New York, New York“ doch noch erinnernswerter gleichnamiger Film. Es gab die Globes und die Emmys für ihre schauspielerischen Leistung in TV-Serien und Filmen, ihre Hagiografen erzählen bewundernd von einer unendlichen Erfolgskette prämierter Hits im amerikanischen Show-Biz. Und trotzdem gilt sie in den Augen vieler Beobachter nicht als Gewinnerin, sondern als Prototyp eines Lebens mit wenigen Schaumkrönchen und mehr Niederschlägen, gegen die sie sich allerdings immer behauptet hat. Komisch, aber wahr, man registriert die Ups, liest aber lieber von den Downs, gerne auch als Richtschnur für das eigene Leben.

Wie kann doch jeder von uns bei dieser Achterbahnkarriere mitleiden! Nur tote Boxer bleiben nach einem Niederschlag liegen. Aber die Diva steht immer wieder auf. Diven sind die Steh-auf-Frauen des Showbiz. Anders als die Frauen im richtigen Leben, wird sie dabei von den Wünschen aller Fans getragen. Die Diva ist Kult, sie gehört den Fans, gerade auch, weil sie sich ihnen zu entziehen versucht, den letzten Rest Geheimnis für sich behalten will. Ihre Fans sind ihre Totengräber.

Liza Minnelli ist Kult, aber Kult-Sein ist nicht einfach. Dem Kult haftet immer die Aura des Vergangenen an. Wenn als Kultstars verehrte Rockmusiker aus den sechziger Jahren als „Rock-Dinosaurier“ bezeichnet werden, dann scheinen Diven wie Liza Minnelli einer noch älteren Epoche anzugehören. Sie ist die Überlebende einer aussterbenden Gattung, einer untergehenden Welt. So wie die Musicals, die seit den Sechzigern als Hoffnungsträger einer musikalischen Erneuerung ebenso ausgedient haben wie Frauen mit langen, plüschhaft aufgedonnerten Kleidern, die als Rollenmodell für eine neue Frauengeneration nicht mehr taugten.

Nur Liza Minnelli gewährt noch die Aura einer vergangenen Epoche. Mit Kleidern, die niemand sonst noch trägt. Mit dem Vielklang von Glamour und Musical-Kitsch. Mit Musik, die die großen Gefühle mit übersteigertem Pathos zelebrieren, wo ansonsten kaltschnäuziger Zweckoptimismus und Street-Credibility angesagt ist. Diana Ross taugte eine zeitlang als Diva-Modell, aber mit ihrer Motown-Vergangenheit und ihrer auch schon Jahrzehnte zurückliegenden Soul-Gegenwart war sie eine Spur zu schwarz und zu modern, um romantisierende Liebessehnsüchte nach der guten alten Glamourwelt dauerhaft restlos zu befriedigen. Barbra Streisand mit ihrer burschikosen Art und ihrer zurückhaltenden, wenig glamourösen Art befriedigt längst nicht mehr alle Wünsche ihrer Klientel. Und Elisabeth Taylor, die als Künstlerin schon lange nicht mehr von dieser Welt war, ist tot. Was bleibt da noch? „Drama, Baby, Drama“.

Das Phänomen „Daniela Katzenberger“ passiert heute, und sie, die Katzenberger, ist keine Diva. Höchstens ein zickiges undefinierbares Sonst-Was. Amy Whinehouse hat Chancen. (Nicht wirklich.) Aber ansonsten?
Natürlich bleibt da nur Liza Minnelli, die unvergleichliche. Wir müssen sie lieben, allein schon, weil sie letzte ihrer Art ist. Dass sie eine Ikone in der Kitsch- und Glamour liebenden Schwulenwelt ist, umso besser. Es gibt ein klammheimliches Vergnügen, dem Hetero, der sich sonst schwule Dancing-Stars verbittet, beim Applaus für eine schwule Ikone auf die Finger zu schauen. Und diesen Applaus wird die Minnelli am Sonntag bekommen.

Machen wir uns nichts vor. Bei ihrem Auftritt in der Wiener Staatsoper wird sie singen können, was sie will, selbst das Wiener Telefonbuch mit den vielen klingende Namen. Beifall wird ihr gewiss sein. Denn wir müssen vorsichtig und liebevoll mit ihr umgehen. Das Nervenkostüm einer Diva kann sooo dünn sein. Erinnern wir uns deshalb, dass sie die „Super-Piaf“ (Charles Aznavour) ist, dass es von ihr heißt, sie könne wie keine andere Sängerin ein emotionales Band zwischen sich und dem Publikum spannen.

Let’s Welcome: the one and only Liza Minnelli, die letzte der Diven!
(Harald Justin)