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Ben Sidran

Wie Jazz wieder chic wurde

Wer immer noch denkt, sublime Akkordbehandlungen, HighHeels, Mode, Kulinarik und Jazz schlössen einander aus, den belehrt der Jazz alle Tage vom Gegenteil.

Für den offenen Jazz-Approach und die offene Kleiderfrage tritt auf dem Jazz Fest heuer Ben Sidran an.
Das geht ja toll weiter, dieses Jazz Fest Wien. Schon bemerkt: kaum festgestellt, dass der Frauen-Anteil enorm groß ist, wurde bei angekündigten Acts über die gute Küche und das feine Trinken geredet! Unglaublich! Und erinnern wir uns recht, bei der Berichterstattung im vorigen Jahr standen, bitte schön, Marken-HighHeels zwar nicht im Vordergrund, aber doch ziemlich prominent im Rampenlicht! Sind denn immer noch Frauen für Kulinarik und Mode zuständig? Glücklicherweise wurde aber im Zuge der ausgleichenden Gerechtigkeit der großartige Ben Sidran verpflichtet.

Ben Sidran

Der ist klug und hat 1971 eine Doktorarbeit vorgelegt. (Das können Frauen auch!). Seine Arbeit, die unter dem Titel „Black Talk“ die Wahrnehmung der afroamerikanischen Musik revolutionierte, beschrieb das Verhältnis von weißer und schwarzer Kultur in Amerika als eine Form der Auseinandersetzung von mündlicher und schriftlicher Kultur. Das Buch gilt längst als Klassiker, hat Sidran aber nicht so reich gemacht, dass er sich zu Ruhe hat setzen können.

Im Gegenteil, er hat im amerikanischen Radio Sendungen wie „Jazz Alive“ moderiert, war natürlich als TV_Moderator, Musiker und Produzent tätig. Elegant groovend, sind seine eigenen Kompositionen und Texte von ironischen Untertönen getragen, nicht unähnlich denen von Mose Allison. Ob er nun eigene Texte, gar hebräische, die des spanischen Dichters Garcia Lorca oder die seines Landmannes Bob Dylan vertont, alles bekommt bei Sidran den ihm eigenen Touch der musikalischen Intelligenz, die tongue-in-cheek daherkommt.

Ernst ist ihm eher etwas anderes: „Jazz ist mehr als bloß ein Musik-Stück. Er ist eine Lebenshaltung, eine Art, sich gegenüber dem Leben zu verhalten. Jazz-Approach ist für mich, offen zu sein und eine bestimmte Art des Humors zu haben. Der Jazz-Approach beinhaltet, dass ich etwas Traditionelles nehmen kann und es auf eine neue Weise gestalte. Du kannst der Welt gegenüber diese Haltung einnehmen. Du lernst, deine eigene Stimme zu finden, erkennst, wie wichtig es ist, was du zu sagen hast. Dabei ist es nicht von Bedeutung, ob du besser bist als ich oder nicht. Du musst nur gut sein in dem, was du bist und tust. Das ist die Botschaft des Jazz.“

Als der Botschafter des Jazz diese großen Worte vor ungefähr 15 Jahren gelassen aussprach, hatte noch nicht jeder Autorennfahrer, nicht jedes Modell und nicht jeder Schlagersänger eine eigene Modelinie mit T-Shirts, Hemdchen und Höschen laufen. Mode war im Jazz eher kein Thema mehr, die Erinnerung an Miles Davis und seine Schlangenlederhosen waren verblasst, galt er doch sowieso eher als modischer Solitär in der Szene. Noch ferner waren die Zeiten, als Jazz-Musiker wie Duke Ellington, Cab Calloway und Dizzy Gillespie mit Anzügen, Hüten und Krawatten Modegeschichte schrieben. Ganze Modelinien wurden nach ihnen ausgerichtet. Jazz war chic.

In den düsteren Endjahrzehnten des 20. Jahrhunderts waren davon wenig übrig geblieben. Jazzer galten als die anerkannt hässlichen Vögel der Musik-Szene. Denn während die Punker auf ihre Art jung, hässlich und modern waren, Rocker ausstarben, picklige Techno-Nerds noch nicht geboren waren, hielten es Jazzer in ihren zugigen Lofts immer noch mit dem Charme der vergessenen Kellerkinder, die hinbestellt, aber zu Recht nicht abgeholt wurden. Sorry, aber Jazz-Musiker und ihre Fans sahen aus wie ranzig riechende, zu großgewachsene Kinder.

Mittlerweile sind einige dieser Kinder längst Pensionisten, andere sind – oh, du böse Doppeldeutigkeit der deutschen Sprache – mit der Zeit gegangen. Junge Musiker, vor allem junge Musikerinnen sind nachgewachsen und haben das Gesicht des Jazz unwiderruflich verwandelt. Jazz kann heute schon einmal als Qualitätsprädikat wahrgenommen werden, Parfums und Autotypen heißen „Jazz“, und Jazz und Mode schließen einander nicht mehr aus.
Ben Sidran wusste das schon vor über fünfzehn Jahren. Damals, in den frühen neunziger Jahren, präsentierte er sein eigenes Mode-Label, Go Jazz Fashion. Die qualitativ hochwertige Herrenmode-Kollektion sollte mit typischer Eleganz im lässigen Sidran-Style überzeugen, mit Pfiff im Detail und einer Materialzustellung, die sich in der Praxis zu bewähren hatte. Von AndreaS. entworfen, waren zwei Märkte anvisiert: der europäische mit einer High Fashion Kollektion, der amerikanische mit einer eher sportiven Linie für den Freizeit-Sektor.

Verbunden mit der Mode-Linie war auch sein Go Jazz–Label, auf dem er eigene Aufnahmen, aber auch die seiner Mitmusiker Georgie „Yeh, Yeh“ Fame, Jazz- und Blues-Urgestein Phil Upchurch, Prince-Mitstreiter Ricky Peterson oder Sax-As Bob Malach veröffentlichte. (Dass Go Jazz bei einem deutschen Label, VeraBra-Records unterkam, dessen damalige Chefin Vera Brandes heute in Wien als Musiktherapeutin tätig ist, zeigt, wie viele Wege mittlerweile nach Wien führen!)

Zur Präsentation von Musik und Mode wurde in eine bekannte St. Pauli-Location nach Hamburg geladen. Alles lief prima, der Sekt, die Models und die natürlich vorbildlich gekleideten Musiker auf der Bühne.
Einzig Ben Sidran leistete sich eine kleine Extravaganz: aus seinem unverschlossenen Hosenlatz lugte frech ein weißer Zipfel – Unterwäsche hervor! Ob im Eifer der Musik und des Kleiderwechsels die wichtige Verschlusssache vergessen wurde oder zur Feier des Tages extra offen getragen wurde, ein Zeichen der prinzipiellen Offenheit gebend, wir werden es nie erfahren. Der Herr trug den dernier cri der Herren-Mode jedenfalls mit Stil und fröhlicher Gelassenheit, mit typischem Jazz-Approach halt! Auf den kommt es bekanntlich an. Das Publikum reagierte auf alle Fälle mit Begeisterung. Und das, obwohl es damals um die Frauen-Quote auch im Jazz-Publikum noch eher schlecht bestellt war.

Einige Stunden nach Mitternacht übernahmen Musiker und Journalisten gemeinsam die Hotelbar eines renommierten Hamburger Hotels, dessen Barkeeper bereits zu müde zum Ausschenken waren. Alsbald zeigte sich, dass diese Männer ganz hervorragende Vertreter einer vorwiegend mündlich agierenden Jazz-Kultur waren. Sie tranken und tratschten wie die sprichwörtlichen Waschweiber. Setzten sie damit Ben Sidrans „Black Talk“-These nicht kongenial in die Praxis um? Leisteten sie nicht zugleich einen Beitrag zur Gleichstellung im Jazz, modebewusst und Nettigkeiten übereinander wie die desperate housewives in „Sex in the city“ austauschend? Herr-lich!
(Harald Justin)

Live Jazz Fest Wien: Ben Sidran 28. Juni 2011, Porgy & Bess
Hot stuff CD / Ben Sidran – European 5et
Hot stuff CD / Various Artists – A Nod to Bob