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Sergio Mendes

Brasiliens Bossa-Pop-Botschafter garantiert Spaß, keine Unterhose!

Jahr für Jahr ist das Jazz Fest Wien an verschiedenen Spielorten der Stadt zu finden. Dabei verspricht die Fernwärme Spittelau längst besondere Qualitäten.

Denn auf das Freigelände mit dem fotogenen Hundertwasser-Turm schaffen es nur Gäste mit dem gewissen „Etwas“. Ob Willy DeVille, Solomon Burke oder Al Jarreau, sie alle sind musikalische Schwergewichte, die ein intensives Gemeinschaftserlebnis unter freiem Himmel garantieren können. Highlight heuer ist Bossa-Pop-Legende Sergio Mendes.

Sergio Mendes (c: Andrew Southam)
Foto: Andrew Southam

„Jeder Mensch hört heute brasilianische Musik“, gab der wohl bekannteste Botschafter der brasilianischen Musik einst stolz einem Chronisten der Musik Lateinamerikas zu Protokoll. Der 1941 geborene Pianist, Bandleader und Arrangeur Mendes müsste sich den Ruhm brasilianischer Musik höchstens noch mit dem berühmten Strandgirl von Ipanema teilen. Verkörpert sie mit Bikini und Salzwassergeschmack auf der sonnengebräunten Haut eine Seite des Klischees brasilianischen Lifestyles, so verkörpert er mit sommerlich hellem Anzug, leichtbekleideten Schönheiten im Arm und einem ewig strahlenden Grinsen im Gesicht das andere Strahlemann-Klischee brasilianischer Lebensfreude.

Längst ist er darüber hinaus mit seinem Sound selbst zu einer Marke geworden. „Typisch Mendes“, heißt es, wenn seine Bands sich an die rhythmisch-melodische Arbeit mit der Leichtigkeit des Seins machen und zeitgemäß auf Namen wieBrasil ’66, Brasil ’77 oder Brazil ’99 getauft werden. Er hat die brasilianische Musik populär gemacht, Jahr für Jahr. Er hat es geschafft.

Davon konnte gegen Ende der sechziger Jahre nicht unbedingt die Rede sein. Als Jugendlicher war er noch in Rios Musik-Clubs aufgefallen, weil er kurze Hosen trug, seine Eltern ihm die Haare kurz schoren, wenn er schlechte Schulnoten nach Hause brachte. Er spielte trotzdem, setzte sich in den von Prostitution finanzierten Spelunken ans Klavier, kaltblütig Schmährufe und explodierende Feuerwerkskörper unter dem Klavier ignorierend und der Leidenschaft für die Musik amerikanischer Jazzer wie Horace Silver, Oscar Peterson und Stan Kenton frönend.

Nach einem Militärputsch in Brasilien zog er 1964 nach Los Angeles. Dann ging es Schlag für Schlag, also Hit für Hit. Zusammen mit dem Brasilianer Antonio Carlos Jobim kreierte er einen Samba-Pop-Bossa-Nova-Mix, den er gängigen amerikanischen Hits unterlegte. Easy listening at it’s best. Prompt stellte sich der kommerzielle Erfolg ein. Das Album Sergio Mendes And Brasil ’66 enthielt den Hit „Mas Que Nada“, und danach war die Welt nicht mehr das, was sie früher einmal war. Die amerikanisierte Form brasilianischer Musik sickerte in die Charts und Herzen ein. Hatten einst brasilianische Musiker ehrfurchtsvoll nach Amerika geblickt, kehrte sich nun die Blickrichtung um. Amerikanische WestcoastJazzer wie Stan Getz segelten mit dem „Girl From Ipanema“ auf höchsten Hitparadenwogen. Selbst der große Frank Sinatra, mit seinem lässigen Gesangsstil Idol aller, für die in Brasiliens Musikszene Lässigkeit das oberste Gebot des Künstlertums war, entrichtete alsbald seinen Tribut gen Rio.

Sergio Mendes’ 1968er Single „Fool On The Hill“ verkaufte sich vier Millionen Mal und damit häufiger als das Original von den Beatles. Größer zu sein als die Pilzkopfbande, das war nicht schlecht für einen Musiker, der in seinen Anfangsjahren dafür bezahlen musste, um auf der Bühne Piano spielen zu dürfen. Jetzt, in Amerika, war er der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Platz, um die in Amerika 1963 vom Ipanema-Girl ausgelöste Bossa-Welle in die des sonnengebräunten Frohsinns umzuleiten.

In nur zwei Jahren, zwischen 1966 und 1968, musste die vom Erfolg getriebene Band in hunderten von amerikanischen Städten spielen. Tourneen führten ihn durch Europa und Japan, in den Fernen Osten und nach Australien. Er spielte im Vorprogramm von – natürlich – Frank Sinatra, war aber selbst bald schon der Hauptact. 1968 war die vorausschauend schon Brazil ’77 getaufte Band die Attraktion des Abend im Opernhaus von Chicago. Und wer spielte im Vorprogramm? Niemand Geringeres als sein Idol aus Jugendjahren, Stan Kenton!

Danach war er geschafft. Es wurde ein bisschen ruhiger, nicht zuletzt auch, weil er wusste, dass er es geschafft hatte, neben der Musik Brasiliens auch seinen Namen ins Buch der weltmusikalischen Erfolge eingetragen zu haben. Alle Jahre wieder stellten sich Hitparadenerfolge ein. 1983 feierte er mit der poppigen Ballade „Never Gonna Let You Go“ einen Charts-Erfolg in Amerika; 1992 wurde er sein Album „Brasileiro“ mit einem Grammy als „Best World Music Album“ ausgezeichnet. 2006 erschien das Album „Timeless“, und zeitlos erwies sich einmal mehr sein Hit „Mas Que Nada“, der diesmal dank der Rap-Unterstützung der Black Eyed Peas eine Generalüberholung erhielt und erneut internationale Hitparadenerfolge feiern konnte.

Dass dieser Hit immer noch wie Feenstaub auf ermüdete Glieder wirkt, zeigte sich bei seinem 2008er Aufritt beim Jazz Fest Wien. Innerhalb kürzester Zeit verwandelte er das hüftsteife mitteleuropäische Publikum in eine Schar hüftenschwingender Brasilianerinnen. Wie sagte er damals noch inmitten des turbulenten Backstage-Treibens: „Meine Musik hat viel mit den Begegnungen zwischen verschiedenen Kulturen und Generationen zu tun. Letztendlich läuft alles auf eine Feier zur Ehren der Musik hinaus. Mich macht das glücklich.“

Soviel Erfolg, so wenig Scheitern. In letztere Kategorie fällt, dass er einst einem seiner Musikfreunde einen Lebenstraum nicht erfüllen konnte. Der wünschte sich, dass Mendes ihm eine Relique des Mannes besorge, der in Brasilen wie ein Heiliger verehrt wurde und mit dem Mendes in den sechziger Jahre tourte. „Klau’ mir eine Unterhose von Frank Sinatra. Möglichst wenig gebraucht!“ Nein, das schaffte Sergio Mendes nicht, bei der Erfüllung dieses Wunsches versagte er. Klang und tatenlos. Wenigstens diese eine Feier zur Ehren der Musik musste wohl ohne Unterhose vollzogen werden. Mal schauen, was das Publikum in der Fernwärme Spittelau zur Kleiderfrage beizutragen hat.
(Harald Justin)

Live Jazz Fest Wien: Sergio Mendes | Bahama Soul Club | Da Cruz 2. Juli 2011, Fernwärme Open Air
Hot stuff CD / Sergio Mendes: Celebration – A Musical Journey