impulse
Line Up

Englands elegantester Fahrradfahrer

Bryan Ferry

Ooops – Bryan Ferry auf dem Jazz Fest Wien? Wie konnte das passieren? Selbst sein Biograf ist sich sicher: Ferry wird selbst in einer Million Jahren nicht als wundervoller Sänger gelten. Passt er nicht genau deshalb zum Jazz Fest? Für seinen Fan und Biografen David Buckley ist die Lage klar: in seiner Biografie über den Briten, der einst mit Roxy Music die Musikszene der siebziger Jahre bunter und glamouröser machte, schreibt er, dass man Ferry „in gesangstechnischer Hinsicht jedenfalls, auch nicht in einer Million Jahren als wundervollen Sänger betrachten werde.“ Und er teilt mit einem anderen Kritiker die Ansicht, dass Ferry klinge wie „Edith Piaf, die mit dem Fahrrad über ein Kopfsteinpflaster fährt.“

Bryan Ferry

Womit zweierlei bewiesen ist: die britische Musikkritik besitzt Humor und ist zudem zutreffend. Sie erfasst das Wesentliche. In Ferrys Fall verbindet sie die Kunst des Fahrradfahrens mit der des Singens und schließ messerscharf: „Es ist die Unvollkommenheit, die seine Stimme so reizvoll macht.“ Es stimmt also, seine Stimme gehorcht nicht den Regeln der klassische Gesangskunst.

Der Sohn einer Arbeiterfamilie aus Nordengland hatte wohl auch nicht die Muße, dieses Regelwerk zu erlernen. Er hörte als Jugendlicher lieber den Jazz eines Charlie Parker und den Blues eines Leadbelly und versuchte, eine zu ihm passende Stimme zu entwickeln. Das machte aus ihm noch keinen Jazz-Sänger, aber immerhin entwickelte er so einen eigenen, unverwechselbaren Sound. Vom ersten Takt seines Gesangs wissen wir, aus wessen Kehle diese Töne kommen. Das erzwungene Vibrato, der leicht näselnde, klagende Ton, das Timing und das Timbre, das ist typisch Bryan Ferry, der mit seinem Gesang prima in eine Band wie Roxy Music passte, die sich selbst als eine Band „inspirierter Amateure“ beschrieb.

Bryan Ferry

Nicht, dass jeder inspirierte Amateur seinen Weg auf Opernbühnen und zu Jazz-Festivals finden würde. Aber Ferry hat geschafft, was nur wenige schaffen: in Zeiten des Regelverfalls in den Künsten hat er seine Unvollkommenheit wenigstens als persönliches Stilmerkmal etablieren können. Gleichzeitig hat er, der Frauenherzen betörende, elegante Romantiker sich an Songmaterial bedient, das schon gut in allen Ohrwindungen eingeölt war. Wenn er schmachtend „Smoke Gets In Your Eyes“ intonierte, zog sich neben der Vokalspur eine dicke Tränenspur der Nostalgie durchs Gemüt.

In seiner Solo-Karriere gab er seiner Liebe zu den gut abgehangenen Schmachtfetzen mächtig Zucker: alte Schlager aus dem Great American Songbook und früher Soul versöhnte er mit einem Wall-of-Sound moderner Studiotechnik und seiner immer mysteriös im Hintergrund abgemischten Stimme Marke Eigenbau. Es ist dieses Songmaterial, das ihn zu einer Empfehlung für das Jazz Fest macht. Play it again, Bryan!

Ferry ist sein eigenes Markenzeichen geworden. Glanz und Glamour, Eleganz und Melancholie, Individualität und Beharrungsvermögen. Allein deswegen hat er bereits einen nahezu ikonenhaften Status erreicht. Der prädestiniert ihn für einen Auftritt in der Oper.

Und wenn er dann persönlich auf der Bühne erscheint, muss man einmal mehr seinem Biografen recht geben. Der schrieb: “Genau so (wie sein Gesang) hat uns seine Art zu tanzen Hoffnung gemacht. Steifbeinig, mit am Körper klebendem Anzug und verschwitzter Haartolle stakst Ferry auf der Bühne umher, und wir lieben ihn dafür.“ Ob „wir“ ihn dafür lieben? Aber sich leibhaftig davon überzeugen, wie er auf der Bühne steifbeinig-elegant Fahrrad fährt, das sollte man wenigstens einmal im Leben machen. (Harald Justin)

Live Jazz Fest Wien: Bryan Ferry 3. Juli 2011, Wiener Staatsoper
Hot stuff CD / Bryan Ferry – Olympia